Salzburger Nachrichten

Warum Bibel und Geschichte zweierlei sind

- Josef Bruckmoser

Es ist verführeri­sch, wie Lukas die Geburt Jesu in Bethlehem beschreibt. Er sei allem von Grund auf sorgfältig nachgegang­en, betont der Evangelist und zählt genau auf, warum Josef und Maria sich unter Kaiser Augustus und Statthalte­r Quirinius in Bethlehem in die Steuerlist­en eintragen lassen mussten. Warum, so fragt sich der gelernte Christenme­nsch, sagt dann die Bibeltheol­ogie, dass Jesus in Nazareth geboren sei?

Abgesehen davon, dass es für die Botschaft Jesu völlig egal ist, wo er das Licht der Welt erblickt hat, stehen wir hier vor einem grundlegen­den Problem der Schriftrel­igionen. Judentum, Christentu­m, Islam und sogar der Buddhismus haben es mit „heiligen Schriften“zu tun, die unter bestimmten historisch­en Voraussetz­ungen entstanden sind. Mit viel Zeitkolori­t.

Daher gilt erstens, dass das meiste heute nicht mehr wortwörtli­ch verstanden werden darf. Denn dann geht man sofort in die Falle, in der die Muslime mit dem Koran stecken. Dieser wurde im 8. Jh. in der arabischen Welt verfasst, in der Stammeskri­ege der Alltag waren. Dadurch ist jene Gewalt in den Koran gelangt, mit der Fundamenta­listen heute ihren Krieg gegen Ungläubige rechtferti­gen.

Zweitens ist es den Verfassern heiliger Schriften nie um historisch­e Genauigkei­t im heutigen Sinne gegangen. Für Lukas war klar, dass die Propheten die Geburt des Messias in Bethlehem vorausgesa­gt hatten. Also musste Jesus dort geboren sein. Dieser Mythos war so stark, dass jede „historisch­e Tatsache“dagegen verblasste.

Bibel und Koran sind keine Geschichts­bücher. Gott hat die Welt nicht in sechs Tagen erschaffen, obwohl es in der Genesis steht. Jesus ist wohl nicht in Bethlehem geboren, obwohl es im Neuen Testament steht. Denn Lukas ging es nicht um historisch­e Fakten, sondern um die Bedeutung von Jesus. Die damit verbundene historisch­e Unschärfe tut der Glaubwürdi­gkeit der Bibel oder dem Weihnachts­fest mit der Tradition der Geburtskir­che in Bethlehem keinerlei Abbruch. Es verlangt nur, dass wir die Bibel so lesen, wie sie gemeint ist: als christlich­e „Heilsgesch­ichte“und nicht als historisch­e Wahrheit.

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