„Das war gar nichts“
Die alte Liebe Lauberhornabfahrt soll für Hannes Reichelt am heutigen Samstag eine bisher eher verkorkste Saison retten. Der Favorit heißt aber Beat Feuz.
Wenn Hannes Reichelt nach Wengen kommt, dann kommt die gute Laune wie von selbst. „Besser gesagt: Wenn ich in Wengen endlich im Quartier bin“, fügt er schmunzelnd an, „denn es ist jedes Mal eine ziemliche logistische Herausforderung, alles zu transportieren.“Ski, Wachskisten, Gepäck, Ergometer – alles muss in Lauterbrunnen auf die Zahnradbahn verladen und hinauf in das Bergdorf transportiert werden. „Andererseits: Genau das macht Wengen aus, und dass man den Zugfahrplan eingesteckt haben muss, wenn man zum Start will.“
Wengen – das war für Hannes Reichelt seit seinem Umstieg in die Abfahrt 2012 immer die Reise und die Mühen wert. 2015 hat er hier ge- wonnen, fünf Mal stand er hier zuletzt auf dem Podest. Folglich braucht man den Salzburger gar nicht erst um seine Beziehung zu dem Abfahrtsklassiker fragen. „Das hier sind die schönsten Tage des Jahres, das ist eine meiner absoluten Lieblingsstrecken.“
Doch in diesem Jahr kommt er nicht um seine Sehnsucht zu stillen ins Berner Oberland, sondern um eine bislang eher verkorkste Saison zu retten. „Verkorkst ist noch eine Untertreibung, das war bisher gar nichts“, sagt er, „so ehrlich muss man sein.“Mit dem Ziel Abfahrtsweltcup gestartet, muss er zur Hälfte der Abfahrtssaison mit gerade einmal 75 Zählern die Schwerpunkte neu setzen. „Wobei die Ergebnisse sicher noch schlechter waren als mein Skifahren an sich.“
Das Dilemma begann im Sommer – just beim teaminternen Fußballspielen: Reichelt hat sich die Zehe gebrochen und anschließend entschieden, das Trainingslager in Chile auszulassen. Kleine Ursache, große Wirkung: „Ich habe mich in den letzten Rennen einige Male beim Material vertan, das wäre wohl nicht passiert, wenn ich die Trainingstage in Chile gehabt hätte.“
Für Reichelt eine unbefriedigende Situation, in der seine alte Liebe Lauberhorn gerade rechtzeitig kommt. So wird er sich im heutigen Abfahrtsklassiker (12.30) auf sein Gefühl verlassen müssen. Das sei am Lauberhorn noch wichtiger als andernorts. Gerade in seiner Lieblingspassage Langentrejen: „In den lang gezogenen Kurven brauchst du einfach das Gefühl, um das Tempo mitzunehmen. Da sieht man mit freiem Auge gar nichts.“
So sehr Reichelt Wengen liebt, so sehr hat er im Sommer die Veranstalter auch kritisiert – wegen des Minimum-Preisgeldes. Acht Millionen Franken beträgt das Budget der Rennen heuer, drei mal 120.000 Franken werden als Preisgeld ausgeschüttet – das sind nicht einmal fünf Prozent des Budgets. „Das gibt es in keiner anderen Sportart.“
Und bei keiner anderen Abfahrt gibt es diese Eintrittspreise: Das Ticket im Zielstadion kostet bei der heutigen Abfahrt 95 Franken, umgerechnet 86 Euro.
„Sind hier die schönsten Tage des Jahres.“ Hannes Reichelt, Abfahrer