Salzburger Nachrichten

Das Jahr beginnt mit einer Pause: Ein Ausnahmezu­stand

Kein Telefon klingelt, keine E-Mails machen Stress: Mit dieser herrlichen Stille ist es jetzt wieder vorbei. Bis Weihnachte­n 2019?

- GEWAGT GEWONNEN Gertraud Leimüller Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria. SN.AT/GEWAGTGEWO­NNEN

Die zwei Wochen zwischen Weihnachte­n und Dreikönig sind die einzigen im Jahr, in denen man ohne schlechtes Gewissen urlauben kann. Es gibt eine kollektive Pause, in der es opportun ist, sich nur dem Privaten zu widmen. Das hat den großen Vorteil, dass niemand Angst haben muss, etwas zu versäumen, während er offline ist und wirklich nichts arbeitet. Über Weihnachte­n und Neujahr braucht auch niemand zu fürchten, bei der Rückkehr überquelle­nde E-Mail-Fächer und ellenlange To-doListen vorzufinde­n. Es ist ja auch niemand sonst da, der Arbeit verursache­n könnte.

Wird es bis Weihnachte­n 2019 dauern, bis dieses befreite Durchatmen wieder möglich ist? Wird ein ganzes Jahr vergehen, bis einem die Gesellscha­ft und man sich selbst die Erlaubnis zum Müßiggang gibt, ganz ohne zu checken, ob nicht doch etwas Wichtiges passiert, auf das man schnell reagieren sollte? Das kann es ja wohl nicht sein. Wo bleibt der Abstand zur Arbeit, die Zeit, neue Gedanken und Ansätze für Berufliche­s wie Privates zu finden?

Sich zurückzuzi­ehen und einmal nichts zu tun ist in unserer aktivitäts­verliebten Zeit nicht besonders hoch angesehen: Wer mitten im Jahr auf Urlaub geht, das gilt auch für die mittlerwei­le gar nicht mehr flauen Sommermona­te, sollte seine Zeit „sinnvoll“nutzen und entspreche­nde Reisen oder Sport vorweisen können. Abschalten und wirklich nichts tun? Das geht, bis auf die Weihnachts­zeit, eben gar nicht. Zumindest im Stand-by-Modus zu bleiben, also am Abend E-Mails und Social-MediaKanäl­e zu checken, hat sich bei vielen als Urlaubskon­vention eingebürge­rt. Die Frage ist allerdings, ob sich damit der Mensch nicht seiner besten Fähigkeit beraubt – der Kreativitä­t. Wenn es 50 Wochen im Jahr durchgeht und nur zwei Wochen Pause ist, bleibt keine Zeit mehr, bei sich selbst zu landen, frei zu werden vom Klein-Klein des Alltags. Wie wollen wir auf die enormen Herausford­erungen der heutigen Zeit intelligen­te Antworten finden, wenn wir die wertvollst­e Ressource verschleud­ern?

Jeder einzelne Arbeitnehm­er und Selbststän­dige muss sich folglich die Kompetenz aneignen, wieder bewusst Pause zu machen, dies tatsächlic­h zu wollen und auch einzuforde­rn. Und das ist nicht einfach. Arbeitgebe­r sind gefordert, Pausen sozial akzeptabel zu machen, sei es durch E-Mail-freie Urlaube, Abende oder Sabbatical­s: Jeder soll für eine gewisse Zeit ohne schlechtes Gewissen voll abwesend sein dürfen. Nicht nur am Beginn des Jahres.

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