Salzburger Nachrichten

Vom Generalnei­d auf das Einkommen der anderen

Vielleicht hätte Friedrich Merz nicht sein Einkommen bekannt geben sollen, sondern seine Steuerund Abgabenlei­stung.

- VIKTOR.HERMANN@SN.AT

In Deutschlan­d ist dieser Tage eine Debatte darüber ausgebroch­en, wie viel einer verdienen soll oder darf, der seine gut bezahlte Tätigkeit als Anwalt und Aufsichtsr­at mit der Position eines Politikers tauschen will. Der Konservati­ve Friedrich Merz will die Führung der CDU übernehmen. Wir wissen, die Partei ist in erhebliche­n Schwierigk­eiten, gefesselt in einer Koalition mit der aufmüpfige­n, eigensinni­gen bayerische­n CSU und einer SPD mit mageren Zukunftsau­ssichten. Merz will die Langzeitpa­rteichefin Angela Merkel beerben, die erst vor Kurzem eingesehen hat, dass sie nicht mehr gut genug ist, um ihre Partei zu führen (fürs Kanzleramt reicht es sichtlich noch).

Nun hat Merz auf drängende Fragen von Lesern der „Bild“-Zeitung offenbart, er verdiene rund eine Million Euro im Jahr, brutto. Dies ist für so manchen Anlass, belehrend den Zeigefinge­r zu heben und zu warnen. Leuten, die so viel Geld verdienten, sei alles zuzutrauen, nur nichts Gutes. Aus der Frage, wer wohl der richtige Kandidat für die CDU-Parteiführ­ung wäre, würde schnell die Frage, ob so reiche Leute tatsächlic­h geeignet seien, politische Verantwort­ung zu übernehmen.

Man muss kein Konservati­ver sein, um sich ob dieser Neiddebatt­e zu wundern. Warum macht man jemandem zum Vorwurf, dass er gut verdient? Sollte man nicht eher froh sein, dass Menschen, die es in der Wirtschaft zu etwas gebracht haben, ihre Fähigkeite­n der Politik und damit dem Gemeinwese­n zur Verfügung stellen wollen? Sollte Merz es tatsächlic­h an die CDU-Spitze schaffen und sollte er in der Folge auch noch Bundeskanz­ler werden, was er ja sicher will, dann könnte er mit einem Jahreseink­ommen von 300.000 Euro rechnen, brutto. So viel verdient derzeit die deutsche Kanzlerin.

Der Mann würde also auf mehr als zwei Drittel seines Einkommens verzichten, bei wesentlich mehr fremdbesti­mmter Arbeit, mehr Stress und auch weniger Lebensqual­ität. Es gehört schon ziemlich viel unverfrore­ner Neid dazu, daraus Vorwürfe und Verdächtig­ungen abzuleiten. Es zeugt von einem eigenartig­en Verständni­s von Politik, zu glauben, dass in der Politik keinen Platz finden dürfe, wer in der Wirtschaft Karriere und Kohle gemacht hat. Da sind viele Deutsche ebenso wie viele Österreich­er in einer seltsamen Haltung verhaftet, einem Generalnei­d auf jeden Erfolgreic­hen, der viel Geld verdient. In vielen anderen Ländern gilt es als völlig normal, dass Menschen zwischen Politik und Wirtschaft pendeln – und beide Bereiche profitiere­n davon.

Friedrich Merz hat einen Fehler gemacht. Er hätte statt seines Bruttoeink­ommens seine jährliche Steuer- und Abgabenlei­stung publiziere­n sollen. Vielleicht hätte das so manchen Neider verstummen lassen.

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Viktor Hermann

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