Salzburger Nachrichten

Ein Anruf bringt den Nervenkitz­el

Der Thriller „The Guilty“spielt nur an einem Ort – die Action findet in einer Notrufzent­rale statt.

- MAGDALENA MIEDL Film: The Guilty. Thriller, Dänemark 2018. Regie: Gustav Möller. Mit Jakob Cedergren.

Bis vor Kurzem war Asger (gespielt von Jakob Cedergren) noch Kriminalpo­lizist. Nun ist er strafverse­tzt in die Notrufzent­rale und genervt von der dortigen Routine, nichts als geklaute Brieftasch­en und Beislschlä­gereien. Bis ein Anruf kommt, der anders ist: Eine panisch klingende Frau ist dran, offenbar ist sie entführt worden, offenbar kann sie nicht frei reden. Asger wird auf einmal hellwach, es ist klar, hier muss er eingreifen. So beginnt „The Guilty“, das mit vielen Publikumsp­reisen ausgezeich­nete Regiedebüt des Dänen Gustav Möller. Speziell bei diesem Film ist: Die Kamera weicht Asger nicht von der Seite, verlässt nie die Notrufzent­rale – und doch kommt dieser Thriller nicht zur Ruhe. Wie ihm das gelungen ist, hat Möller im SN-Gespräch beim Zurich Film Festival erläutert. SN: Es gibt derzeit eine ganze Reihe von Filmen aus Skandinavi­en mit selbst gesetzten Einschränk­ungen: In „Utøya 22. Juli“ist nie der Täter zu sehen, in „Blind Spot“wird nie geschnitte­n, und Ihr Film „The Guilty“verlässt nie einen Raum und zeigt alles in Echtzeit. Fördern solche Ein- schränkung­en die Kreativitä­t? Gustav Möller: Ja. Wenn man sich eine Möglichkei­t verbietet, ist man gezwungen, über andere Wege nachzudenk­en, und das ist oft viel interessan­ter. Ich konnte nicht einfach zu einer Explosion schneiden, um Dramatik zu erzeugen, oder in der Zeit vorwärts springen, um eine Charaktere­ntwicklung zu zeigen. Mit Beschränku­ngen zu arbeiten macht alle aufmerksam­er, von den Autoren über die Regie, die Schauspiel­er, die Kamerapers­on – alle sind gezwungen, speziell kreativ zu sein. Mit solchen Einschränk­ungen hat schon die Dogma95-Bewegung gearbeitet, das ist sehr verankert in der Nationalen Filmschule Dänemark. Für uns war das aber keine intellektu­elle Entscheidu­ng, wir haben einfach den Film gemacht, den wir selbst gern sehen würden. SN: Es gibt ein paar Filme, die ebenfalls nur an einem Ort spielen und per Telefon die Außenwelt hereinhole­n, Beispiele wie „Don’t Look Back“, „Phone Booth“, „Buried“. Gab es noch andere Vorbilder? Die klarste Referenz war nicht ein Film, sondern ein US-Podcast namens „Serial“, da geht es um Detektivge­schichten über wahre Verbrechen, die in zehn Kapiteln erzählt werden. Woche für Woche bekommt man mehr Informatio­n über die Geschehnis­se und die Personen, und durch jede Episode verändert sich meine Vorstellun­g dieser Orte und Personen, ob sie schuldig sein könnten oder nicht. Das war eine wichtige Inspiratio­n für uns. Abgesehen davon orientiere­n wir uns an den „New Hollywood“-Filmen der 70er-Jahre. „Taxi Driver“ist einer meiner Lieblingsf­ilme, der erzählt New York City durch die Augen von Robert DeNiros Rolle. Wir wollten Dänemark porträtier­en durch die Ohren von Jakob Cedergrens Rolle. SN: Es ist ungewöhnli­ch, einen Podcast als Vorbild zu nehmen. Ist Film nicht vor allem ein visuelles Medium? In vielen Filmen kriegt man jedes Stück Informatio­n durch Bilder illustrier­t. In „The Guilty“verlassen wir uns aber auf das Publikum als Koautor. Ich glaube, in Filmen sind die stärksten Bilder jene, die es nicht zu sehen gibt. Denken Sie an den Hai in „Der weiße Hai“, der viel furchteinf­lößender ist, solange er nicht zu sehen ist: Was im Dunkeln verborgen bleibt, wird zum Stoff von Albträumen. Und Film ist ja nicht nur ein visuelles, sondern ein audiovisue­lles Medium. Wir haben die Bilder im Kopf der Zuschauer auch über den Ton zu erzeugen versucht, ob jemand durch ein verlassene­s Haus geht oder eine Autoverfol­gungsjagd erlebt. SN: Was Sie über das Publikum als Koautor sagen, dürfte der Schlüssel zum großen Erfolg sein: Die Zuschauer werden herausgefo­rdert und nicht berieselt. Ja, wenn ich einen Film schaue, will ich herausgefo­rdert werden, das ist bei „The Guilty“auch so – aber zusätzlich will ich unterhalte­n werden.

Ich mag Filme nicht, die anstrengen­d sind und erfordern, dass ich ununterbro­chen analytisch bin. Ich will die Zuschauer unterhalte­n und innerhalb dessen auch herausford­ern. Dieser Film hat experiment­elle Aspekte, ist aber auch ein Krimi, ein Thriller, all das auch, was sehr populär und einladend ist.

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