Salzburger Nachrichten

Ein Comicphilo­soph will wachrüttel­n

- „Wayne Shorter: Emanon“, Blue Note/Universal.

CLEMENS PANAGL SALZBURG. Er gilt als einer der letzten großen Helden seiner Zunft: Während andere sich auf alten Lorbeeren ausruhen, hat er immer noch nicht genug von Herausford­erungen. Und wo auch berühmte Kollegen lieber vorsichtig auf Nummer sicher setzen würden, stürzt er sich am liebsten ohne Netz ins Risiko. Die Rede ist nicht von 007, sondern von Wayne Shorter. Im Dienst von Jazzmajest­äten wie Art Blakey oder Miles Davis wurde der US-Saxofonist in einer Zeit zur Ikone, die heute gemeinhin als Goldene Ära des Jazz gefeiert wird. Später gründete er gemeinsam mit dem österreich­ischen Jazzer Joe Zawinul die Band Weather Report und drückte dem neuen Genre Jazzrock seinen Stempel auf. Als Musiker, vor allem aber auch als Komponist vieler Songs, die heute zum Standardre­pertoire gehören, hat er den Sound des Jazz geformt.

Wenn es ums Improvisie­ren geht, dann bewundern selbst große Jazzkolleg­en den Wagemut des mittlerwei­le 85-Jährigen und seines Quartetts, das für die Magie des Moments lieber das Risiko sucht, statt auf Nummer sicher zu gehen: „Without a Net“(dt.: Ohne Netz) hieß das bislang letzte Livealbum Wayne Shorters mit John Patitucci, Brian Blade und Danilo Pérez aus dem Jahr 2013 nicht umsonst.

„Wir proben nie “, erklärt Shorter nun auch aktuell in Interviews mit der „New York Times“. Das würde höchstens das Abenteuer der Unberechen­barkeit verderben.

Abenteuer ist zugleich auch das Stichwort für Shorters jüngstes Album, das nun zu seinem 85. Geburtstag auf dem Label Blue Note erschienen ist. Die Musik wird da um eine rund 80-seitige Graphic Novel ergänzt. Die Comicgesch­ichte erzählt von einem Philosophe­n namens Emanon (rückwärts gelesen: No Name), der wie ein einzelgäng­erischer Superheld in einer von Angst geprägten Welt die Menschheit aufwecken will.

Hier kommt nicht nur Wayne Shorter, der Science-Fiction-Fan, ins Spiel, der selbst als Kind Comiczeich­ner werden wollte, bevor er das Saxofon und den Bebop entdeckte. Auch das Faible des Jazzphilos­ophen für Ausflüge ins Esoterisch­e kommt da zum Vorschein: „Emanon“spielt sich in mehreren Parallelwe­lten ab.

Die gute Nachricht für Realisten: Man muss nicht an ein Leben im „Multiversu­m“glauben, um den Jazzhelden und sein Quartett bei seinen musikalisc­hen Missionen bestaunen zu können. Auf drei Alben verteilt ist die Band in der „Emanon“-Box groß in Form zu hören: zum einen auf einer Studioaufn­ahme, eskortiert vom Orpheus Chamber Orchestra, zum anderen auf zwei Platten mit Liveversio­nen von Konzerten im Jahr 2016. Höhenflüge ohne Netz inklusive.

Die schlechte Nachricht für Digital-Fans: Auf den gängigen Internetpl­attformen wie Spotify oder Apple Music sucht man „Emanon“vergebens. Es wird ausschließ­lich als CDoder Vinylbox verkauft, jeweils mit beigelegte­r Graphic Novel, die Comickünst­ler Randy DuBurke zu der von Shorter ausgedacht­en Geschichte gezeichnet hat.

Mit der Idee, seine Musik in ein Großprojek­t zu verpacken, ist der Saxofonist hingegen dem Zeitgeist nah. In jüngster Zeit hat etwa Saxofonist Kamasi Washington mit Monumental­werken wie „The Epic“oder „Heaven and Earth“Furore gemacht. Als Kind seiner Zeit schreibt der 37-jährige Washington freilich eher Songs über Computersp­iele („Street Fighter Mas“) als über Science-Fiction-Comics.

Dafür kann Wayne Shorters Comicheld wohl auf die edleren Motive für seine Taten verweisen: Auf Prometheus, der in der Mythologie den Menschen das Feuer bringt, bezieht sich einer der Titel der viersätzig­en Suite, die das Kernstück von „Emanon“ausmacht. Auch die Kompositio­nen „Pegasus“und „Lotus“sparen nicht mit Symbolgeha­lt, „The Three Marias“wiederum ist ein Shorter-Titel von 1985, den der Saxofonist und seine Bandkolleg­en für Orchester noch einmal neu aufsetzten.

In Liveversio­nen stehen drei Stücke der Suite den Studioaufn­ahmen mit Orchester gegenüber. In einem 14-minütigen „Prometheus Unbound“ist da etwa zu hören, zu welchem entfesselt­en Spiel das Quartett sich aufschwing­en kann. Album:

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US-Saxofonist Wayne Shorter.

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