Ungeschoren trotz Niederlage
Nach einer schicklichen Trauerzeit von zwei Wochen muss an dieser Stelle nochmals in den Wunden des Salzburger Wahltags gewühlt werden. War das nicht schrecklich? Die Hälfte der beteiligten Politiker war am Wahlabend a) in Tränen aufgelöst oder b) am Boden zerstört. Muss das wirklich sein?
Politik soll doch Freude machen und positive Signale aussenden. Dass nach Verkündigung des Wahlergebnisses regelmäßig die halbe Spitzenkandidatenriege in einem Meer von Tränen watet, ist geradezu demokratiegefährdend. Das will doch niemand sehen!
Dies wissend, haben die Niederösterreicher eine überaus kluge Vorkehrung getroffen: Bei ihrer Landtagswahl im Jänner gab es nur Gewinner. Und zwar wurde das dadurch bewerkstelligt, dass eine Partei, die bei der Wahl davor zehn Prozent erhalten hatte (es handelte sich um das Team ohne Stronach), nicht mehr antrat. Somit waren zehn Prozent der Stimmen frei verfügbar und das reichte aus, dass selbst die Wahlverlierer in Niederösterreich ein kleines Plus vor ihrem Ergebnis vorfanden und deshalb nicht weinen mussten.
So macht man das. Die Niederösterreicher wissen halt, wie Politik geht. Man sollte ernsthaft überlegen, es ihnen nachzutun und bei allen künftigen Wahlen ein Sonderkontingent von zehn Prozent bereitzustellen, mit dessen Hilfe jede Wahlniederlage in einen Erfolg und jede Leichenbittermiene in ein Siegerlächeln verwandelt werden kann.
Der Einwand, dass zehn Prozent nicht ausreichen, um die aktuellen Verluste der Grünen auszugleichen, ist berechtigt. Also sagen wir: 15 Prozent.
Interessant ist übrigens zu beobachten, wie unterschiedlich Parteien auf Niederlagen reagieren. Wenn die ÖVP eine Wahl verliert, tauscht sie ihren Obmann aus. Wenn die FPÖ eine Wahl verliert, spaltet sie sich. Wenn die SPÖ eine Wahl verliert, sagt sie einen Zauberspruch und alles ist wieder gut. Der Zauberspruch lautet: „Wir werden das Ergebnis eingehend analysieren, aber es gibt keine Personaldebatte.“
Verlieren hingegen die Grünen eine Wahl, tritt (allerdings mit der kleinen Ausnahme von Wien) sofort die Parteichefin zurück und es entsteht ein mordsmäßiger Wirbel. Vielleicht sollten es die Grünen stattdessen auch einmal mit „Wir werden das Ergebnis eingehend analysieren“versuchen?
In früheren Zeiten wurde auf Niederlagen ganz anders reagiert, nämlich gerne mit einer Umgestaltung des Haarkleides. Als der römische Kaiser Augustus von der Niederlage seiner Legionen in der Varusschlacht erfuhr, sprach er zunächst die klassischen Worte „Varus, Varus gib mir meine Legionen wieder!“(eine Art frühes „Wir werden das Ergebnis eingehend analysieren“) und ließ sich dann als Zeichen seiner Trauer über die verheerende Niederlage monatelang Bart und Haupthaar wachsen. Man stelle sich vor, Walter Steidl oder Karl Schnell würden das auch so machen. Oder die ÖVP! In der Vor-Basti-Ära wäre sie eine einzige Ansammlung von Wurzelseppen gewesen ...
Die Römer ließen sich also die Haare länglich wachsen, wenn sie betrübt waren. Bei den Griechen war es genau umgekehrt. Bei ihnen galt es als Ausdruck von Trauer, sich Haare und Bart scheren zu lassen. Bei besonderen Trauerfällen wurden auch die Haare der Pferde und Maultiere geschoren. Und Alexander der Große soll aus Verzweiflung über den Tod seines engen Freundes Hephaistion sogar die Zinnen von den Mauern haben reißen lassen, um zu zeigen, dass er jetzt aber wirklich ur-traurig ist, wie man heute sagen würde.
Die Fiakerpferde auf dem Residenzplatz, die Eichkatzerl im Mirabellgarten und die Mauern der Festung Hohensalzburg können somit von Glück reden, dass Astrid Rössler sie am Wahlabend ungeschoren gelassen hat.