Aus der Heldin wurde ein Held
„Erik & Erika“erzählt vom Leben jener Person, die als Erika Schinegger berühmt und als Erik Schinegger glücklich wurde.
1966 wurde die Kärntnerin Erika Schinegger Abfahrtsweltmeisterin. Sie wurde weltweit gefeiert, war Heldin der Nation. Dann aber, für die Qualifikation zu den Olympischen Winterspielen 1968, musste sie sich einem medizinischen Test unterziehen – und dieser ergab, dass Schinegger genetisch ein Mann ist. Der Österreichische Skiverband versuchte zu vertuschen, die Presse reagierte sensationsgierig. Nun ist aus dem Leben Erik Schineggers (gespielt von Markus Freistätter) ein Spielfilm geworden, in der Regie von Reinhold Bilgeri, der sich erinnert, wie er damals dachte: „Schön bist ja ned, Madl. Aber meiner patriotischen Seele tun deine Siege gut!“ SN: Wie sind Sie und Erik Schinegger zueinandergekommen? Reinhold Bilgeri: Ich bin ein Skifreak, immer schon gewesen, und hab sämtliche Rennen von der Erika gesehen. Ich war 16, als sie Weltmeisterin war, aber ich hab’ schon 1956 ein Heft geführt, wo ich die Zeiten aufgeschrieben hab, die der Molterer und der Toni Sailer gefahren sind. Diesen Fanatismus hab’ ich mir bis heute erhalten. Wenn der Hirscher fährt, hab ich immer noch 140 Puls, ich identifiziere mich brutal mit solchen Leuten und war ein Riesenfan von der Erika. Nach dem Outing war ich eigentlich noch mehr Fan vom Erik, weil er das durchgestanden hat. Und vor ein paar Jahren ist mir dann ein Drehbuch dazu angeboten worden. Es war mir ein großes Bedürfnis, das Thema anzugehen, auch angesichts der Genderdebatte weltweit. SN: Wie sehr war Erik Schinegger in das Drehbuch involviert? Das Drehbuch von Dirk Kämper basiert auf vielen Gesprächen mit Erik, insofern ist es sehr authentisch. Ich hab’ noch ein paar Szenen dazugeschrieben, und schließlich haben wir ein tolles Cast zusammengekriegt, etwa Marianne Sägebrecht, eine toughe Urschel, für die Rolle der Nonne, die zur Erika gehalten hat. Diese Nonne war eine offene Frau, die von ihrem Verhalten her eigentlich nix mit der katholischen Traditionskirche zu tun hatte, das war ein lieber Mensch mit Riesenherz, nicht so, wie ich das erlebt hab in meiner Internatszeit. SN: Wie lang waren Sie im Internat? Fünf Jahre, bis sie mich rausgeschmissen haben wegen Unterwanderung der Autorität. Darauf bin ich total stolz, ich hab das überlebt, und da ist der Rock ’n’ Roll in mir erweckt worden. Im Internat haben wir mit Badehose duschen müssen, und wenn man ein Mädel sah, musste man ein Stoßgebet beten.
Ich hab’ als schwer erziehbar gegolten, und ich sollte Priester werden, also hat man mich ins Internat gesteckt. Aber mich haben’s dort nicht brauchen können, und als sie mich rausgeschmissen haben, hab ich mit dem Michael Köhlmeier eine Band gegründet. Ich hab’ mich immer für extreme Leute interessiert, weil ich ähnlich bin, ein bisserl. Deswegen hab ich mich auch für Skifahrer begeistert, die an ihre Grenzen gehen, manchmal zwischen Leben und Tod. SN: Wie haben Sie es damals als Teenager mitbekommen, als aus der Erika ein Erik wurde? Ich war zuerst natürlich schockiert, dass es das überhaupt gibt, zu der Zeit hatte man ja keine Ahnung. Bei meiner katholischen Erziehung gab es nix zwischen Bauchnabel und Schenkel, und im Internat war das noch schlimmer. Da kommt man über die Gosse drauf, was los ist draußen im Leben. Aber worum es bei Erik Schinegger geht, war erst schwer fassbar, das haben ja nicht einmal die Ärzte gleich gecheckt, weil’s eine seltene Form von Pseudohermaphroditismus ist. Aber ich weiß, wie ich damals gedacht hab: „Schön bist ja ned, Madl, aber meiner patriotischen Seele tun deine Siege gut!“Und mir hat ihr burschikoser Schmäh getaugt, die wilde Henn’ ist einfach cool gewesen. SN: Sie sagen, dass es Ihnen ein Bedürfnis war, das Thema anzugehen. Wollen Sie zeigen, dass es mehr gibt als nur Frauen und Männer? Ja, das ist mir ein großes Anliegen, aber nicht: „Achtung, wir kommen jetzt mit einer Botschaft.“Es ist mir zutiefst zuwider, wenn ein Staat oder eine Institution in die Identitätssuche eines Individuums regulierend eingreifen will. Ich vergess’ nie die Geschichte, wie Oscar Wilde im sogenannten aufgeklärten England mit nassen Fetzen in die Verbannung getrieben wurde, nachdem er wegen seiner Homosexualität ins Gefängnis musste. So etwas ist katastrophal, und in unseren nach 700 Habsburgerjahren völlig verkrusteten katholischen Strukturen, diesen patriarchalen Hierarchi- en, gedeihen diese Gemeinheiten gut. Das zeigt der Film schon auch. SN: In diesem Zusammenhang spielt der ÖSV eine schlimme Rolle. Haben Sie da alles erzählen können, was Sie wollten? Eigentlich schon. Ich wollte mich nicht zum Richter aufspielen, aber es gibt eine Doku von Kurt Mayer. Da kommen diese Herren alle vor, und das sind schon sehr bescheidene Geister gewesen. Ich komm’ aus der Nachkriegszeit und kann Ihnen sagen, das ist kein Klischee, wie da Frauen behandelt worden sind. So war das wirklich, der Mann hatte in der DNA drin: „Ich darf alles.“Ich hab das ja selber erlebt im Internat, das war nicht lustig. Deswegen war es ja dringend nötig, dass es dann die Achtundsechziger gab. Dieser konspirative Machismo beim ÖSV, und wie die entschieden: „Unsere Reputation ist wichtiger als das Leben dieses Teenagers. Den machen wir zum Mädel, und eine Ruh ist“– Es ist monströs, dass da nicht einer dabei war, der da aufgestanden wäre und gesagt hätte: „Das könnt ihr doch nicht machen!“Das ist die Auswirkung dieser Strukturen.
„Mir gefiel ihr burschikoser Schmäh.“