Eine uralte Mikrobe wird heuer geehrt
Milchsäurebakterien machen etliche Lebensmittel länger haltbar. Sie halten unseren Darm gesund, schützen die Babys und waren schon dabei, als die alten Thraker auf ihren Pferden den Balkan unsicher machten.
Milliarden Menschen verzehren täglich Milchsäurebakterien. Ohne sie wäre das menschliche Immunsystem nur halb so leistungsfähig. Diese winzige, stäbchenförmige Mikrobe zählt zur Gattung Lactobacillus. Sie wurde jetzt von der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie zur Mikrobe des Jahres 2018 gewählt.
Die Milchsäurebakterien bauen Zucker zu Milchsäure ab. Das nennt man Milchsäuregärung. Es gibt mehrere Arten von Laktobazillen. Sie werden seit Jahrtausenden zur Haltbarmachung und auch zur geschmacklichen Veränderung von Lebensmitteln eingesetzt. Lang bevor man wusste, dass es lebende Winzlinge sind, die ein Lebensmittel angenehm sauer machen.
Vermutlich waren die Thraker die Ersten, die Milch zu dem machten, was man heute als Joghurt bezeichnet. Thrakische Reiter, die etwa im fünften vorchristlichen Jahrhundert auf der Balkanhalbinsel lebten, führten Lammfellsäcke mit sich, die sie mit Milch füllten. Die in diesen Ledersäcken enthaltenen Bakterien machten aus der Milch mit der Zeit „dicke Milch“, worauf bis heute die alten thrakischen Worte „jog“(schnittfest) und „urt“(Milch) hinweisen.
Das gesäuerte Milchprodukt hatte den Vorteil, dass es viel länger haltbar war als normale Milch. Heute werden Milchsäurebakterien bei der Herstellung von Sauerkraut, Sauerteig und auch in Rohwürsten wie Salami eingesetzt. Vor allem schützen Milchsäurebakterien in der Darmflora vor der Ausbreitung gefährlicher Krankheitserreger. Ebenso hemmen sie in der weiblichen Scheide das Wachstum schädlicher Keime. Dank bestimmter Enzyme machen sie für den Menschen unverdauliche Kohlenhydrate, etwa harte Pflanzenfasern, leichter verdaulich. Bereits 1908 entdeckten Wissenschafter die gesundheitsfördernde Wirkung von Sauermilchprodukten. Knapp 100 Jahre später überraschte die Forschung mit einer weiteren Erkenntnis: Milchsäurebakterien sind schon bei unserer Geburt live dabei. Nämlich bei der Passage durch den mütterlichen Geburtskanal. Hier werden die ersten gesundheitsfördernden Laktobazillen auf das Baby übertragen. Später nehmen Säuglinge Milchsäurebakterien mit der Muttermilch auf.
Heute mischen die Hersteller von Säuglingsmilch Milchsäurebakterien bei, um möglichst nah an die Zusammensetzung der Muttermilch heranzukommen. Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass Laktobazillen die Wahrscheinlichkeit von Allergien und Autoimmunerkrankungen wie Diabetes und Morbus Crohn verringern. Die meisten Milchsäurebakterien sind für Menschen ungefährlich oder sogar nützlich. Es gibt aber auch unter den Laktobazillen einige Krankheitserreger. Bekannteste Beispiele sind Streptococcus pneumoniae, der Auslöser von schweren Lungenentzündungen, und Streptococcus mutans, der bei der Entstehung von Karies eine Rolle spielt.
Bleibt noch zu klären, ob es wirklich links- und rechtsdrehende Joghurts gibt. Gibt es. Der Unterschied besteht nicht im Geschmack, sondern hat etwas mit der räumlichen Anordnung der Moleküle der Milchsäurebakterienarten zu tun. Man kann das durch Bestrahlung der Bakterien mit speziellem Licht feststellen.
Je nach verwendeter Bakterienkultur überwiegt in Lebensmitteln der Anteil rechts- oder linksdrehender Milchsäure. In Pflanzen und Bakterien kommt die Milchsäure in Form eines Gemischs beider Formen vor. Für Menschen ist die rechtsdrehende Form ein natürliches Zwischenprodukt des Stoffwechsels. Die linksdrehende Milchsäure eliminiert der Organismus etwas langsamer. Zu Gesundheitsschäden kommt es allerdings nicht.