Mit Mozart kann nichts schiefgehen?
Von den großen bis zu den kleinen Bühnen: Seine Opern werden überall gebraucht. Aber sind sie deswegen auch „handlich“genug? Und wann spielt Mozart mit, und wann schlägt er womöglich zurück?
Salzburg kann wieder einmal nicht genug Mozart kriegen. Am 20. Jänner hat im Salzburger Landestheater „Le Nozze di Figaro“Premiere. Man komplettiert dort mit dem Regisseur Jacopo Spirei die Reihe der drei Da-Ponte-Opern. Nur sechs Tage später kommt, als Eröffnungspremiere der Mozartwoche 2018, im Haus für Mozart „Die Entführung aus dem Serail“heraus, prominent angeführt von René Jacobs am Pult der Akademie für Alte Musik Berlin und der Regisseurin Andrea Moses, die erstmals in Salzburg arbeitet. Besonderer Luxus: Es gibt nur drei Aufführungen.
Mozart steht aber auch sonst hoch im Kurs. Jüngst erst hatte ihn der designierte Musikdirektor der Wiener Staatsoper, Philippe Jordan, in einem Fernsehgespräch als Dreh- und Angelpunkt der Opernmusikgeschichte genannt, auf den hin alles gerichtet sei und von dem wieder alles andere ausstrahle. Deswegen werde er auch in der „Staatsoper neu“ab 2020 eine zentrale Rolle spielen.
Und gern greifen auch Länderbühnen auf den Kassenbringer zurück, denn mit Mozart kann man nichts falsch machen. Regelmäßig führt „Die Zauberflöte“die saisonalen Inszenierungsstatistiken ziemlich unangefochten an.
Kann man nichts falsch machen? Jene „Zauberflöte“beispielsweise, die Jean-Pierre Ponnelle 1978 in der Felsenreitschule herausbrachte und die, 1982 erweitert um eine „Zauberflöte für Kinder“, in neun Sommern zur Legende geworden ist, war nicht nur die langlebigste, erfolgreichste, sondern auch die stilbildendste der Festspielgeschichte. Alle Versuche danach (und schon Karajans Strehler-Desaster 1974 davor) führten zu selten befriedigenden Ergebnissen. Dem neuen Team für die Salzburger Festspiele 2018, Constantinos Carydis als Dirigent und Lydia Steier als Regisseurin, müsste angst und bange werden.
Mit Mozart kann nämlich auch alles sehr schnell schiefgehen. Denn Mozart ist das Schwerste und Heikelste, das es gibt.
Davon kündet die Neuproduktion der „Hochzeit des Figaro“– vielleicht die längste, verwirrendste und komplexeste der Mozartopern – an der potenten Oper Graz. Der junge Regisseur Maximilian von Mayenburg, ein Schüler Stefan Herheims, ließ sich von Ausstatter Stephan Prattes (am Salzburger Landestheater gut bekannt aus Arbeiten mit Andreas Gergen) ein Cinderella-Märchentraumschloss auf die ausgiebig fahrende Drehbühne bauen, das Barbiepuppen-Kitsch pur verströmt. Irritierend ist allenfalls, dass im schönsten Rundturm nicht mehr als ein WC installiert ist: das Kabinett der Gräfin als „gabinetto“?
Die etwas beduselt wirkenden Märchentraumfiguren nehmen natürlich nicht wahr, dass um diese unwirkliche Schlossinsel schon die Revolution tobt. Als Cherubino zum Militär geschickt werden soll, hört man von draußen – leicht als Feuerwerksknallerei zu missdeutenden – Gefechtslärm, und ein toter, blutüberströmter Soldat wird hereingekarrt. Am Ende erschrecken dann die angeblich glücklich vereinten Paare im immer mehr devastierten Schloss vor der heranrollenden Guillotine.
So populär „Die Zauberflöte“ist, so viele Inszenierungen scheitern
Das Problem der Aufführung – die in der von uns gesehenen Reprise von dem Berliner Kapellmeister Marcus Merkel auswendig (!) dirigiert und nicht immer wackelfrei gespielt wurde: Mehr ist dem bildwütigen Regisseur nicht eingefallen, schon gar nicht zum komplizierten Figurengeflecht. Gesungen wird in dieser sonst exemplarisch gehandelten „Ensembleoper“oft nur nach je eigenem vokalen Vermögen. Unterm Strich: ziemlich uninteressant.
Da ist das Klagenfurter Stadttheater diesmal schon mutiger: Florentine Klepper – in Salzburg eingeführt als Regisseurin der Osterfestspiel-„Arabella“von 2014 – schickt den kläglich scheiternden Frauenverführer Giovanni, jeder Zoll kein „Don“, viel eher nur Mr. John, als texanischen Desperado mit seinem Kumpel Leporello auf einen horriblen Roadtrip. Das klingt jetzt weder originell noch neu, aber je länger der anspruchsvolle Abend dauert, konsequent der Prager Fassung folgend, ohne „Dalla sua pace“und mit der Höllenfahrt endend, umso triftiger und folgerichtiger erscheint der Ansatz. Klepper führt jede einzelne Figur mit Liebe zur genauen und dem Konzept minutiös eingepassten Detailzeichnung, baut so spannungsreiche Charakterbezüge auf und bringt das von Rodion Pogossov (Giovanni) und Nicholas Crawley (Leporello) kongenial angeführte Ensemble, orchestral aufgeweckt gespielt, zu einer mehr und mehr geschlossenen, die dunklen, dämonischen Seiten des Werks glühend auskostenden singschauspielerischen Qualität.
Martina Segna braucht als Bühnenbildnerin nicht mehr als einen alten Straßenkreuzer und einen Tankstellenimbiss, dazu ein fabelhaft gesteuertes, mysteriös-magisches Licht. Nur der finale Schuss mit einem überdeutlichen Cocktail an Todesdrogen – ein ähnliches Bild gab es auch im letzten relevanten Festspiel-„Don Giovanni“von Claus Guth – wirkt ein wenig zu dick aufgetragen.
Dem falschen Figaro-Traumschloss von Graz ist aber der Klagenfurter Psycho-Horror-Albtraum-Thriller allemal haushoch überlegen. Und das Wichtigste: Mozart schlägt nicht zurück. Er spielt, wenn’s gelingt, aufregend mit.