„Weißrussland ist komplett von Russland abhängig“
Darum nutzt Präsident Lukaschenko die EU als Karte im Poker mit Putin, wie der Politikexperte Stefan Meister erläutert.
Stefan Meister ist Osteuropa-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin. SN: Die EU hat 2016 die Sanktionen gegen Weißrussland gestoppt. War das richtig? Stefan Meister: Die Europäische Union hat darauf verwiesen, dass Präsident Lukaschenko die meisten politischen Gefangenen freigelassen habe. Das war das oberflächliche Argument. Der wahre Grund für den Schritt der EU war das Scheitern der Sanktionspolitik. Man hat erkannt, dass die Fortdauer der Sanktionen gegen Minsk die weißrussische Gesellschaft isolieren und die Spielräume der Union in der östlichen Nachbarschaft einschränken würde. Die Schlussfolgerung war: Größere Offenheit trägt mehr zur Transformation bei als komplette Isolation. SN: Welches Konzept steht hinter der EU-Politik der östlichen Partnerschaft? Die Hauptidee der östlichen Partnerschaft war es, diese Länder draußen zu halten – also die früheren Sowjetrepubliken Weißrussland, Ukraine, Moldau, Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Man wollte den Ländern im Osten keine EU-Beitrittsperspektive bieten, aber sie durch Transformationshilfen stabilisieren und an das westliche Europa heranführen. SN: Und das Ergebnis? Diese Politik war erfolgreich. Länder wie die Ukraine, Georgien und die Republik Moldau haben damit ein Assoziierungs- und Freihandelsabkommen sowie ein Abkommen über eine Visaliberalisierung bekommen. Aber das Problem ist: Die EU hat zwischen den Ländern nicht differenziert, sondern den gleichen Ansatz für sechs unterschiedliche Länder angewendet. Es mangelt an Prioritäten und an Ressourcen. Mit dem sehr ambitionierten Vorhaben hat die Union Erwartungen geweckt, die sie nicht erfüllen konnte. Und die EU hat einen nicht intendierten Konflikt mit Russland angefacht. SN: Sollte diese Politik trotz der konträren Interessen der EU und Russlands fortgesetzt werden? Unbedingt. Aber die Transformationspolitik braucht eine Sicherheitskomponente. Das bedeutet: Die EU muss diesen Ländern helfen, starke Institutionen aufzubauen. Sie muss sich mit den Konflikten im postsowjetischen Raum befassen; sie verhindern Transformation. Russland destabilisiert die gemeinsame Nachbarschaft mit der EU systematisch und führt auch Krieg, wenn es ihm geboten scheint. Als Hegemon übt Russland Druck auf diese Länder aus. Aber es gibt auch ein wachsendes Interesse dieser Länder, sich Russlands Einfluss zu entziehen. SN: Wie groß ist die Nähe Weißrusslands zu Russland? Weißrussland ist ökonomisch und sicherheitspolitisch völlig von Russland abhängig. Präsident Lukaschenko hat nur einen sehr begrenzten Spielraum, sich etwa der Europäischen Union anzunähern. Denn sein wirtschaftliches System kann ohne die russischen Subventionen auf dem Öl- und Gassektor gar nicht überleben. SN: Welche Bedeutung hat dann für Lukaschenko das Verhältnis zur EU? Lukaschenko braucht die EU in erster Linie als Karte im Verhandlungspoker mit Moskau. Weißrusslands Präsident nutzt sie, um bessere Preise von Kremlchef Wladimir Putin zu bekommen. Lukaschenko braucht westliche Technologie und ist darum an stärkerer Wirtschaftskooperation mit der EU interessiert. Er ist darauf bedacht, sich von beiden Seiten Vorteile zu verschaffen.