Ab wann ist man eigentlich alt?
Eine Ausstellung im Belvedere führt einem unbarmherzig die Vergänglichkeit vor. Hoffentlich bleibt einem bis zuletzt der Humor.
WIEN. Die Künstlerin Louise Bourgeois war neunzig Jahre alt auf dem Foto von Herlinde Koelbl, mit schelmischem Blick zuzelt die Künstlerin an ihrem Strohhalm. Auch andere starke Frauen wie Maria Lassnig strahlen mit über 90 starken Humor aus. Eine große Ausstellung mit lauter Alten? 170 Werke von 106 Künstlerinnen und Künstlern, die sich mit dem alten Menschen auseinandersetzen? Wird einem da nicht ganz anders, wenn man die Vergänglichkeit so unmittelbar vor Augen geführt kriegt? Ja, schon, aber es tröstet auch, je nach Blickwinkel. Wann ist man eigentlich alt, wenn die Zipperlein sich bemerkbar machen? Die Werbung hat da Rezepte, lauter kraftvolle Senioren, die sich ihres Lebens freuen. Gibt es in Fernsehserien eigentlich noch Damen über sechzig? Eher selten.
Heutzutage wird das nahende Lebensende lieber weggeblendet. Gustav Klimt hat noch einen Greis auf dem Totenbett mit aller Würde dargestellt. Auch andere Künstler haben ältere Herrschaften wegen der Repräsentation „schön“porträtiert. Wenn Karl Mediz 1902 vier knorrige, langbärtige „Eismänner“kolossal mit finsterem Blick malte, fallen einem ähnliche, weißbärtige Typen aus der TV-Werbung ein, die naturgemäß andere Signale aussenden. Es ist eine Kunst mit Altersflecken, welche die Belvedere-Kuratorin Sabine Fellner angesammelt und ein wenig unübersichtlich angeordnet hat.
Während Männer auch im fortgeschrittenen Alter noch mit Themen wie Potenz und Virilität in Zusammenhang gebracht werden, wobei junge Frauen durchaus hilfreich sein können für das Lebensgefühl, haben es die Frauen schwieriger mit dem Alterungsprozess. Die 81-jährige Margot Pilz nimmt mit dem Foto als hantelstemmende Hobbyathletin das „Anti Aging“aufs Korn. Aber schon eine Käthe Kollwitz porträtierte sich schonungslos im Alter, weltabgewandt oder gar von der Hand des Todes berührt. Falten, Altersflecken oder auch die Körperhaltung signalisieren auf mehreren Werken das Fortschreiten des Daseins. Und es gibt enorm würdevolle Porträts von Damen, die sich bis ins hohe Alter eine Schönheit erhalten haben, die bezaubert.
Bei den Männern wiederum gibt es den kuriosen Fall, dass Oskar Kokoschka seinen Malerkollegen Carl Moll porträtierte, wobei der damals 52-Jährige um Jahrzehnte älter wirkt. Schade, dass es dazu keinen Gedankenaustausch der beiden gibt. Juergen Teller hatte prominente ältere Frauen vor der Kamera. Hellen Mirren räkelt sich in der Badewanne und Vivienne Westwood pfeift sozusagen auf jeglichen Anstand, was nicht überrascht bei der Punk-Ikone.
Als Kontrast gibt es wiederum eine Ansammlung von berührenden Kunstwerken. Denn zum Alter gehören vielfach auch das Defizit, der Rückzug, die Schwäche und die Einsamkeit. Kiki Smith zeichnete auf zerknittertem Papier eine Frau mit einer Katze auf dem Schoß, ob das Tier noch lebt, weiß man nicht. Aber der Titel „Pietà“deutet an, was die Trauer im Gesicht der alten Dame verursacht hat. „Vaterfigur“ wiederum nannte Margherita Spiluttini die berührende Fotoserie, die ihren Vater im letzten Lebensjahrzehnt festhält und die das Gebrechliche und Hilflose unmittelbar abbildet. Gar einen ganzen Film, „Omsch“, machte Edgar Honetschläger um die Figur einer lebenslustigen Wienerin, die er mit 82 Jahren kennenlernte und die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens begleitete. Leichte Zweifel, ob Schuberts „Der Tod und das Mädchen“der passende Soundtrack ist, sind angebracht. „Tod und Mann“wiederum ist der Untertitel von Egon Schieles dramatischem Bild „Selbstseher II“.
Schiele konnte auch anders, etwa mit dem Porträt des souveränen Dr. Hugo Koller inmitten seiner Folianten. Auch einige andere ältere Herren strahlen Weisheit und Erfahrung aus – oder Selbstbewusstsein mit nacktem Oberkörper, wie Friedrich Gulda und Adolf Frohner, wie sie Sepp Dreissinger fotografiert hat. Was für einen Charakterschädel hatte Bernhard Minetti, sogar wenn ihn Arnulf Rainer mit Schwarzstift und Tusche „überarbeitete“. Ein wenig makaber wirkt der „Totentanz mit Mädchen“, eine Fotoserie von Birgit Jürgenssen.
Ausstellung: „Die Kraft des Alters“, Unteres Belvedere, Wien, bis 4. März.