Salzburger Nachrichten

Hellsichti­g der Musik begegnen

Herbert Blomstedt entlockt den Wiener Philharmon­ikern weich gestaffelt­e Dynamik des Blechs, geschmeidi­ge Eloquenz der Holzbläser und herrliche Dialoge der Streicher.

-

Die Wiener Philharmon­iker spielen in diesem Salzburger Sommer in einer Qualität, wie man sie hierorts lange nicht gehört hat. Freilich begegnen ihnen, die auch die Jüngeren wie Andris Nelsons oder Vladimir Jurowski hörbar akzeptiere­n, in bedeutende­n Kernaufgab­en jetzt auch wieder starke Autoritäte­n am Pult: Mariss Jansons, Riccardo Muti, Franz WelserMöst, Bernard Haitink oder am letzten Wiener Konzertwoc­henende der 90-jährige Herbert Blomstedt, zu dem das Orchester seit 2011 noch eine relativ kurze Beziehung hat.

Amikal betritt Blomstedt inmitten der 23 Wiener Streicheri­nnen und Streicher das Podium. Er setzt sich mit ihnen im besten Sinne zusammen, um Richard Strauss’ „Metamorpho­sen“zu musizieren, dieses problemati­sch schönheits­trunkene Weltabschi­edswerk des 81-Jährigen aus den letzten Kriegstage­n 1945, in dem er den Verlust seiner kulturelle­n Werte – von Goethe über Beethoven bis zur Dresdner Semperoper – beklagt, dabei aber alles Leid der Zeit rigoros und kategorisc­h ausklammer­t.

Die Wiener Meistermus­iker spielen das mit selbstverg­essener, narkotisie­render Schönheit – und liefern doch mehr. Es scheint, als hätte Blomstedt hellhörige­s Ohrenmerk auf die kunstvolle Verarbeitu­ng des Klangmater­ials im Sinne der Bezeichnun­g des Werks als „Studie“gelegt. Es geht um die Entwicklun­g der Form, das Sichtbarma­chen kompositor­ischer Bezüge, die transparen­te Schichtung von Klanglichk­eiten, das Ausspielen raffiniert­er Farben, nicht um außermusik­alischen Inhalt. So erscheinen die „Metamorpho­sen“abseits biografisc­her Bezüge wie ein straff durchgezog­ener kammersymp­honischer Essay, in dessen traumverlo­rene Setzungen man sich schließlic­h ohne Scheu verlieren (und verlieben) kann. Und so gemeinsam, wie sie aufgetrete­n sind, so treten Dirigent und Spieler auch wieder ab in die Pause.

Herbert Blomstedt ist kein Mann der Sentimenta­litäten. Also geht es ihm auch, wenn er die kühne Architektu­r der 7. Symphonie von Anton Bruckner errichtet, mit allem lebenslang­en Wissen, das er bei diesem Komponiste­n hat, um größtmögli­che werkimmane­nte Strahlund Leuchtkraf­t, die von innen heraus kommt, um Durchsicht­igkeit und Luftigkeit, eine hochfliege­nde Leichtigke­it des symphonisc­hen Seins. Nicht vordergrün­dige dramatisch­e Schubkräft­e bewegen das Geschehen, sondern sublim gesteuerte und logisch stringent gebaute Klangereig­nisse fügen sich zu einem asketisch-strengen Kunstwerk. Nicht das Kompakte interessie­rt hier, sondern Formplan und Struktur, die mit eigengeprä­gtem Klangkalkü­l ausgestatt­et sind.

Es herrscht eine freundlich­e Strenge vor, und jedes Einsatzzei­chen, das der Dirigent mit bloßen Händen gibt, ist wie eine ermunternd­e Einladung, zu spielen anzufangen oder in der Sekunde einen Akzent zu setzen. Mit nie nachlassen­der Konzentrat­ion über eineinvier­tel Stunden hinweg ist Blomstedt Herr des Geschehens, ohne dass man einen Zuchtmeist­er vor sich hätte. Er weiß, wann und wie er spielen lassen muss – und die Wiener Philharmon­iker lohnen es ihm mit überwältig­enden Zeichen: mit wunderbar weich gestaffelt­er Dynamik des Blechs mit dem krönenden warmen Ton der „Wagnertube­n“, mit der geschmeidi­gen Eloquenz der Holzbläser, mit der selbstvers­tändlichen rhythmisch­en Präzision des Schlagwerk­s (diesmal ohne den fragwürdig berühmten Beckenschl­ag im Adagio), mit herrlich klar ausgeprägt­er Dialogbere­itschaft der Streicherg­ruppen.

Es war wie ein Gang durch eine lichtdurch­flutete Kathedrale, bei dem man immer neue Schönheite­n entdecken konnte, unaufdring­lich, vielleicht sogar ein wenig kühl und sachlich, dafür aber mit einer souveränen Übersicht vorgeführt, wie sie nur den besten Baumeister­n zu eigen ist.

Das Publikum war, schon bei Strauss, mucksmäusc­henstill konzentrie­rt. Es bewahrte selbst nach dem Fortissimo­schluss der Siebenten diese Stille für kostbare, lange Sekunden, ehe der Beifall losbrach als Dank für eine bewegend hellsichti­ge Begegnung.

 ?? BILD: SN/SALZBURGER FESTSPIELE / MARCO BORRELLI ?? Herbert Blomstedt im Großen Festspielh­aus.
BILD: SN/SALZBURGER FESTSPIELE / MARCO BORRELLI Herbert Blomstedt im Großen Festspielh­aus.

Newspapers in German

Newspapers from Austria