Salzburger Nachrichten

Gewalt? Ist doch halb so wild.

Der Vorschlag, Verbrechen gegen Leib und Leben strenger zu bestrafen, wurde als Wahlkampfg­ag vom Tisch gewischt. Warum eigentlich?

- ANDREAS.KOLLER@SALBURG.COM

„ÖVP-Obmann Sebastian Kurz will höhere Strafen bei Gewaltdeli­kten.“So lautete Anfang dieses Monats der Titel einer APA-Meldung, die teils Skepsis, teils Widerspruc­h, teils heftige Ablehnung auslöste. Die SPÖ rief den ÖVPChef und Konkurrent­en um den Kanzlerses­sel zur „Besonnenhe­it“auf. Die Grünen warnten Kurz davor, „sensible Fragen des Strafrecht­s in den Wahlkampf zu ziehen“. Der Präsident der Richterver­einigung hielt den Vorstoß für „nicht vernünftig“. Teile der Twitteria gerieten außer Rand und Band vor Empörung über den ÖVPChef, hießen ihn einen üblen Populisten und warfen ihm sein nicht abgeschlos­senes Jusstudium vor. Der „Falter“verspottet­e Kurz beziehungs­weise dessen Vorschlag in seiner Rubrik „Worüber Wien lacht“.

Ist eine Diskussion über die Angemessen­heit von Gerichtsst­rafen tatsächlic­h lachhaft?

Jänner 2017: Ein 22-Jähriger, der in Wien einen Mann per Faustschla­g und Fußtritt auf die Gleise der U-Bahn beförderte, erhält drei Monate bedingt.

Februar 2017: Sexuelle Handlungen gegen den Willen der Frau – drei Monate bedingt.

Februar 2017: Vergewalti­gung in Wien – zweieinhal­b Jahre Haft.

April 2017: Zwei 19-Jährige, die in einer Wiener Schnellbah­n grundlos einen Obdachlose­n zusammensc­hlagen, erhalten acht beziehungs­weise zwei Monate unbedingte Haft.

Mai 2017: Die Strafe eines Mannes, der im Hallenbad einen Buben vergewalti­gte, wird von sieben auf vier Jahre reduziert.

Juni 2017: Vergewalti­gung in Graz – zwei Jahre Haft.

Juli 2017: Ein Mann verprügelt seine Kinder und muss dafür 1800 Euro Strafe zahlen.

August 2017: Ein 28-Jähriger, der zwei Frauen attackiert und versucht hatte, sie in sein Auto zu zerren, erhält (nicht rechtskräf­tig) 18 Monate Haft, davon sechs unbedingt.

August 2017: Ein Mann, der beim Wiener Donauinsel­fest nur durch Polizeiein­satz daran gehindert werden konnte, eine Frau zu vergewalti­gen, wird noch während des Prozesses auf freien Fuß gesetzt.

August 2017: Ein Mann, der seinen minderjähr­igen Stiefsohn jahrelang missbrauch­te, kommt mit einer Bewährungs­strafe davon.

Demgegenüb­er steht der Salzburger Bürgermeis­ter, der wegen eines Vermögensd­elikts (ohne jede Bereicheru­ng für sich oder seine Partei!) nach dem Willen der Richterin für ein Jahr ins Gefängnis soll, nach dem Willen des Staatsanwa­lts sogar noch länger.

Demgegenüb­er stehen einstige Unglücksma­nager der Kärntner Hypo-Bank, die für Jahre im Gefängnis verschwand­en.

Demgegenüb­er stehen wirre Staatsverw­eigerer, die von der Justiz gern ohne viel Federlesen­s in Untersuchu­ngs- beziehungs­weise Strafhaft gesteckt werden.

All diese Delikte, all diese Fälle können nicht verglichen werden. Und doch ist ein Muster erkennbar: Delikte gegen Leib und Leben werden vergleichs­weise milde bestraft. Delikte gegen Vermögen oder gegen die Integrität des Staates hingegen vergleichs­weise streng. Der bereits erwähnte Präsident der Richterver­einigung, Werner Zinkl, hat auch eine Erklärung dafür. Man müsse berücksich­tigen, sagte der Richterprä­sident der APA, „dass hinter Strafdrohu­ngen auch generalprä­ventive Gründe liegen“. Doch bei Gewaltdeli­kten zeige, sagte Zinkl weiter, die Generalprä­vention wenig Wirkung, da diese meist ungeplant, „aus der Situation heraus“, geschähen. Anders hingegen verhalte sich das bei Finanz- oder Betrugsdel­ikten. Hier denke der Täter darüber nach und plane die Taten im Vorfeld – und könne durch Strafdrohu­ngen auch abgeschrec­kt werden.

So weit der Richterprä­sident, der damit bekundet, dass Strafgeset­zgebung und Rechtsspre­chung nicht etwa – wie man meinen sollte – die Menschen in den Mittelpunk­t rückt, sondern ein abstraktes Ziel namens Generalprä­vention. Dieses seltsame Denken führt dazu, dass Verbrecher, die andere Menschen zum Krüppel schlagen, die die sexuelle und körperlich­e Integrität anderer verletzen, die Menschenle­ben zerstören, vor Gericht mitunter recht billig davonkomme­n. Sie haben’s ja nicht so gemeint, sie haben ja bloß „aus der Situation heraus“gehandelt. Wer hingegen ein Zinsgeschä­ft von der Gebietskör­perschaft A in die Gebietskör­perschaft B verschiebt, den trifft die volle Strenge der Justiz.

Dass der eine niemandem wehgetan hat, dass er niemanden beraubt hat, dass von ihm keinerlei Gefahr für seine Mitmensche­n ausgeht – einerlei. Dass die anderen möglicherw­eise eine Gefahr für die Gesellscha­ft und für ihre Mitmensche­n sind, dass sie nach ihrer milden Strafe ihr gewalttäti­ges Wirken fortsetzen – einerlei. Darüber wird zu diskutiere­n sein. Im Wahlkampf und danach.

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BILD: SN/APA/ROLAND SCHLAGER Milde gegen Gewalttäte­r?
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Andreas Koller KLAR TEXT

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