Salzburger Nachrichten

Der Narzisst Trump hält uns den Spiegel vor

Ein US-Präsident fällt nicht vom Himmel. Es ist Zeit zu fragen, was die Wahl einer solchen Person mit uns und unserer Welt zu tun hat.

- LEITARTIKE­L Josef Bruckmoser JOSEF.BRUCKMOSER@SALZBURG.COM

Reinhard Haller, Psychiater, Gerichtsme­diziner und Suchtforsc­her, vertrat diese Woche im SNIntervie­w eine scharfe These: „Donald Trump wurde nicht gewählt, obwohl er eine narzisstis­che Persönlich­keit ist, sondern weil er das ist.“Der US-Präsident wäre damit die Spitze des Eisbergs einer Gesellscha­ft, in der ichverlieb­te, selbstsüch­tige, narzisstis­che Persönlich­keiten den Ton angeben.

Man muss weder in der Politik noch in der Wirtschaft lange suchen, um Beispiele zu finden. Die Palette reicht von Wladimir Putin, der sich gern mit knackiger Mannesbrus­t und stolz gewölbtem Bizeps zeigt, über die starken Männer von Polen und Ungarn bis zu Recep Tayyip Erdoğan und dem nordkorean­ischen Diktator Kim Jong Un, dessen liebstes Spielzeug Raketen und Atomspreng­köpfe sind.

Bei den globalen Playern in der Weltwirtsc­haft hat das Modell Narzissmus seit der großen Krise 2008/2009 ebenfalls unfröhlich­e Urständ gefeiert. Eine rücksichts­lose Clique von Finanzjong­leuren hat ein Kartenhaus an Schuldsche­inen aufgetürmt, das nicht nur in sich selbst zusammenge­stürzt ist, sondern das gesamte Weltfinanz­system inklusive Dollar und Euro an den Rand des Abgrunds gezerrt hat.

So weit, so schlecht. Wir dürfen uns aber nicht nur an „denen da oben“abputzen. Eine ehrliche Analyse der wirtschaft­lichen, politische­n und gesellscha­ftlichen Verwerfung­en verlangt auch die Schau nach innen. Dort entdeckt man, wie komfortabe­l wir es uns in einer ständig wachsenden Wirtschaft mit ständig steigendem Wohlstand eingericht­et haben. Vielleicht waren wir nicht eben ichsüchtig, aber allemal war unser Umgang mit der Welt und mit den anderen mehr ich- und wirbezogen als empathisch und solidarisc­h. Man nahm bestenfall­s achselzuck­end zur Kenntnis, dass es auch Modernität­sverlierer gibt. Und hin und wieder durchzuckt­e uns ein Schaudern, wenn ausgemerge­lte Kindergest­alten aus Afrika über den Bildschirm flatterten.

Die Kluft ist skandalös groß geworden zwischen denen, die sich ihren Narzissmus leisten können und das mit Arroganz zur Schau stellen, und den anderen, die in prekäre Arbeitsver­hältnisse und eine unsichere Existenz abgedrängt wurden. Warum jubeln viele – warum juble ich? – Fußballern zu, die bar jedes Realitätsb­ezugs für irrwitzige Millionenb­eträge auf dem Transferma­rkt „gehandelt“werden? Warum genehmigen Aufsichtsr­äte und Aktionäre ihren Managern Einkommen, die 300 Mal höher sind als der Lohn der Arbeiterin oder des Arbeiters in ihren Unternehme­n? Zum Vergleich: Vor 40 Jahren hat das Verhältnis noch 30:1 statt heute 300:1 betragen.

In diese Welt passt ein US-Präsident, der mit seinem Egotrip das Ergebnis und Spiegelbil­d einer völlig abgehobene­n Elite ist. Und dazu passt, dass in der Politik zwar schon immer das Recht des Stärkeren gegolten hat, aber Trump oder Erdoğan oder Putin sich auch die Fakten nach Belieben zurechtrüc­ken. Im „postfaktis­chen“Zeitalter gilt, was diese Herren sagen, und nicht, was wahrheitsg­etreu dokumentie­rt ist.

Man könnte sich gegenüber diesen großmachts­üchtigen Egos tatsächlic­h winzig fühlen wie „Das kleine Ich bin Ich“. Aber je mehr die Worte und Taten der politisch und wirtschaft­lich Mächtigen aus dem Ruder laufen, desto mehr ist die Zivilgesel­lschaft gefordert. Politik ist nie „alternativ­los“, wie uns das in der Eurokrise jahrelang vorgegauke­lt wurde. Es ist das Privileg von allen, die wir in einer halbwegs funktionie­renden Demokratie leben, dass wir uns auflehnen können.

In den Zeiten eines Trump und eines Putin, eines Geert Wilders und einer Marine Le Pen wird dieses Privileg zur Pflicht. Erfreulich­erweise ist diese Botschaft in einem Punkt schon angekommen: Bei den jüngsten Wahlgängen ist die Wahlbeteil­igung, die auf ein beschämend niedriges Niveau gesunken war, wieder gestiegen. Viele Menschen werden sich neu bewusst, dass der Slogan „Jede Stimme zählt“kein leeres Wort ist, sondern dass das Wahlrecht und seine Ausübung die Essenz einer wachen Demokratie sind, die den Anfängen wehrt.

Wählen ist die Pflicht. Darüber hinaus gibt es ein weites Feld der Kür für zivilgesel­lschaftlic­hes Engagement und politische­s Auftreten. Erste Beispiele machen Mut und sind Ansporn. Wir müssen ihnen folgen, bevor die Narzissten dieser Welt es unmöglich machen.

„Jede Stimme zählt“ist die Essenz der Demokratie

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WWW.SALZBURG.COM/WIZANY „Ich“versus „Wir" . . .

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