Wer den ORF infrage stellt, wird als Feind der Nation verteufelt
Es muss möglich sein, auch eine öffentlich-rechtliche Gesundschrumpfung anzudenken, ohne reflexartig als Unternehmensgegner und Arbeitsplatzvernichter diffamiert zu werden.
Pech gehabt. Dass just am Präsentationstag ihres Reformpapiers zum ORF eine Boulevard-Kampagne gegen die dort bezahlten Gagen ausbricht, konnten die Neos nicht ahnen. Dabei war die Vorstellung kundig terminiert. Die letzten Märztage und die Woche vor Palmsonntag sind eine bewährte Schlagzeilenzeit für die immer wieder von schlechten Aprilscherzen heimgesuchte Branche. Das reicht von der alljährlichen Präsentation der Media-Analyse bis zum Geburtstag des flächendeckenden Privatradios.
Nun vereitelte aber die „Krone“mit ihrer angeblichen Enthüllung von durchaus gewöhnlichen Gehältern das Agenda-Setting der Neos, indem sie zwar plakativer, aber weniger stichhaltig die parteiliche Provokation als Mediennachricht verdrängte. Das galt aber nicht dann auch für die Antwort des ORF, der auf das politische Diskussionspapier heftig reagiert hat. Dies sei „ein in freundliche Worte gekleideter Leitfaden zur Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich und zum Ausverkauf des österreichischen Medienmarktes an deutsche und internationale Medienkonzerne“. Schon die heimatverbundene Wortwiederholung sollte stutzig machen.
Unabhängig von den Detailvorschlägen der Neos verweigert der ORF schon seit 22 Jahren jede Diskussion über seine Zurückführung in ein etwas engeres öffentlich-rechtliches Reservat. Angesichts einer seit 1995 nahezu unverändert umgesetzten Strategie ist das – vorsichtig ausgedrückt – vermessen. Nur zur besseren Einordnung: Als Gerhard Zeiler mit diesem Konzept der totalen Kommerzialisierung von Ö3 und ORF eins Gerd Bacher als Generalintendanten ablöste, hatte der ORF noch das Sendemonopol für Radio wie Fernsehen und Internet war erst ein exotisches Thema. Als der Reformator des hiesigen öffentlichrechtlichen Rundfunks dann 1998 ausgerechnet zum deutschen Privat-TV-Riesen RTL wechselte, gab es in Österreich noch kein halbes Jahr Privatradio.
Seitdem haben sich die Voraussetzungen für „National Narrowcasting“neben einem zehn Mal größeren Nachbarn entscheidend verändert – nicht aber die Zwitterrolle des ORF. Mithilfe US-amerikanischer Unterhaltungskonfektion verhält er sich weiter einerseits wie die verächtlich „Kommerz“genannten internationalen Mitbewerber und behauptet andererseits seine Unverzichtbarkeit für Österreich. Die Schlüsselbegriffe dafür stammen jedoch von jenem Bacher, dessen Credo durch Zeiler abgelöst wurde: Demnach ist der ORF der größte Kulturträger und wichtigste Identitätsstifter der Nation.
Eine Rückführung zu diesem Status kann auch eine Gesundschrumpfung sein, die inhaltlich weiter geht als die ohnehin geplante Einsparung von 300 Stellen und 300 Millionen Euro Kosten. Die Finanzierung aus dem Budget muss ebenso offen diskutierbar bleiben wie der Wechsel zu einer Haushaltsabgabe. Wer die Verfechter solcher Vorschläge reflexartig zu ORF-Zerstörern brandmarkt und als Österreich-Gegner dämonisiert, erweist dem berechtigten Anliegen eines gesellschaftlich möglichst breit getragenen öffentlich-rechtlichen Mediums einen Bärendienst.
Gestern war Abgabeschluss für den jährlichen ORF-Bericht über die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags. Heute steigt das Programmentgelt vulgo Rundfunkgebühr um 6,5 Prozent. Peter Plaikner ist Politikanalyst und Medienberater mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten.