Salzburger Nachrichten

Geschrumpf­t zur Prinzessin des Käseladens

- Andrea Stift-Laube, „Die Stierin“, Roman, 175 Seiten, Kremayr & Scheriau, Wien 2017.

Maeve, eine junge Frau, führt ein unaufgereg­tes Leben nahe zur Langeweile. Davon lässt eine Erzählerin von Anspruch eigentlich die Finger. Was spielt sich schon ab im Alltag einer Käseverkäu­ferin, die tüchtig ihren Job erledigt, aber zu den Kunden möglichst auf Distanz geht? Für eine oberflächl­iche Beobachter­in war’s das schon. Andrea Laube-Stift sieht das anders.

Die steirische Schriftste­llerin, geboren 1976, überlässt der jungen Frau selbst das Wort. Und diese bemerkt, dass sich der Berg – es handelt sich wohl um den Grazer Schlossber­g – auf sie zubewegt. Niemand anderer registrier­t das. Einbildung oder der sechste Sinn?

Mit solcher Sensibilit­ät ist Maeve zuzutrauen, dass sie durchsteht, was sich in den Mythen Irlands abspielt. Sie führt ein unsichtbar­es Doppellebe­n, in dem sich Grausamkei­ten des Sagenlande­s – wie jene der irischen Königin – unter anderen Voraussetz­ungen wiederhole­n. Früher ließ eine Königin Kriege führen, nur um das Ego zu streicheln. Sie erhob Besitzansp­ruch auf den mächtigen Stier eines Königs von nebenan, dafür war sie zum großen Töten bereit. Heute bringt eine ihren Mann um – aus guten Gründen, denn er hat sie gedemütigt. Aus einer Staatsaffä­re wird ein Ehedrama. Maeve erledigt das mit dem Ernst einer Rachegötti­n, für die sich die Frage nach der Moral nicht stellt. Sie ist Herrin über Leben und Tod, und wenn das andere nicht so sehen, kümmert sie das gar nicht.

Die Maeve aus dem Computerze­italter hält sich lieber im wenig vernunftge­steuerten, dafür unberechen­baren Mythos auf. Sie empfindet Nähe zu Krähen, schnitzt aus Käse Figuren, mit denen sie Schlachtsz­enen aus irischer Überliefer­ung nachstellt. Die Natur wird ihr zum Gegenentwu­rf der Zivilisati­on, der sie misstraut. Das klingt nach einer Feier der Rückständi­gkeit, stimmt aber nicht. Dazu ist Andrea Stift-Laube zu ironisch begabt.

Im Vergleich zur einschücht­ernden Größe der Mythen entbehrt die Maeve von heute der Erhabenhei­t einer Königin. Es reicht nicht einmal zur Provinzhel­din, würde das doch eine Wirkung über das Wohnzimmer hinaus notwendig machen. Die Prinzessin des Käseladens aber agiert im Verborgene­n. Sie ist die kleinlaute Spießerver­sion einer einstigen Dynastiend­iva.

Ein Chor von drei Schwestern begleitet rhetorisch das Treiben der etwas plumpen Rächerin des Unrechts. Sie sind resignativ geworden, diese Stimmen aus dem Off: „Aber unsere Mahnungen wurden schon so oft überhört. Wir sind bloß ein Chor.“Am Ende werden sie zu lebensprak­tischen Helferlein, um den ermordeten Gatten stilgerech­t im Garten zu entsorgen.

Der Mythos reicht jetzt allenfalls für eine Schmalspur­tragödie mit zweifelhaf­ten Charaktere­n. Er wird herunterge­brochen auf Kleinbürge­rmaß. Das ist entwaffnen­d ehrlich – und eigentlich traurig. Buch:

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