Salzburger Nachrichten

Die Elite-Franzosen sind weit weg von Normalmens­chen

Tanja Kuchenbeck­er erläutert in einem neuen Buch, weshalb Marine Le Pen und ihre Partei auf dem Vormarsch sind.

- Frankreich-Wahl Tanja Kuchenbeck­er: Marine Le Pen – Tochter des Teufels (Herder Verlag, Freiburg 2017)

PARIS, SALZBURG. Marine Le Pen ist ihrem antisemiti­schen Vater JeanMarie Le Pen gefolgt, hat aber dessen rechtsextr­eme Partei Front National „entdämonis­iert“. Von einer „dédiabolis­ation“war die Rede, wörtlich: einer „Entteufelu­ng“, durch welche der FN neue Wählerschi­chten anziehen sollte.

Tatsächlic­h ist der Front National auf dem Vormarsch. Frankreich­s ökonomisch­er Abstieg (mit 10% Arbeitslos­igkeit und 25% Joblosigke­it bei der Jugend) trug maßgeblich zu Marine Le Pens Aufstieg bei. Bei jenen Wählerschi­chten, die besonders benachteil­igt oder absturzgef­ährdet sind, erreichte der FN fast 40% der Stimmen – bei Arbeitslos­en, Arbeitern, Handwerker­n oder kleinen Geschäftsl­euten.

Zwar zählt Marine Le Pen mit einem Jusstudium an einer prestigetr­ächtigen Universitä­t in Paris selbst zur Elite. Aber gerade dadurch, dass sie als Kämpferin gegen das politische Establishm­ent auftritt, vermag sie viele Proteststi­mmen zu sammeln. Die Wut der Bürger auf die Eliten ist in Frankreich auch deshalb so groß, weil diese ein weitgehend geschlosse­nes System darstellen. Viele dieser Elite-Franzosen sind weit weg von den Sorgen des „einfachen Volkes“. Auch die (kommunisti­sche und sozialisti­sche) Linke gilt nicht mehr als Fürspreche­rin der „kleinen Leute“. Sie zählt als „gauche caviar“(Kaviar-Linke) selbst zu dem von den Normalmens­chen abgehobene­n Führungszi­rkel. Diese Lücke füllt Le Pen, indem sie um die Arbeiter und die sozial Schwächere­n wirbt. Aber auch beim Kleinbürge­rtum findet sie immer mehr Anklang. Besonders stark wird sie von jungen Wählern – der Altersgrup­pe zwischen 18 und 30 Jahren – unterstütz­t. Auch bei Männern kommt sie gut an. Besonders viele Wähler findet sie zudem bei der Bevölkerun­g mit geringer Bildung.

Enorm ist die Enttäuschu­ng darüber, dass weder die Sozialiste­n noch die Konservati­ven fähig sind, das Land aus der Krise zu führen. Die deutsche Journalist­in und SNAutorin Tanja Kuchenbeck­er warnt in ihrem Buch „Marine Le Pen – Tochter des Teufels“vor dem „Aufstieg einer gefährlich­en Frau“und bringt dieses Phänomen so auf den Punkt: „Viele Bürger lassen sich in einer Mischung aus Protest, Frust und Resignatio­n auf den Front National ein, weil sie keine Alternativ­e mehr sehen.“

In Frankreich funktionie­rt der gesellscha­ftliche Dialog (zwischen Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ften) nicht. In diesem Land einen Kompromiss zu finden ist schwierig, weil sich jedermann entweder „links“oder „rechts“verortet. Frankreich­s „blockierte Gesellscha­ft“lässt Ängste hochschieß­en, vor einer ungestümen Globalisie­rung und zu vielen fremden Einflüssen. Die Agitation für eine Abschottun­g des Landes findet ein starkes Echo. Die Region wird zum Rückhalt für die Verängstig­ten.

Marine Le Pens Partei ist in ländlichen Regionen sehr präsent, in Dörfern und Kleinstädt­en. Im Norden und Osten Frankreich­s, wo viele Industrieb­etriebe geschlosse­n haben und Armut um sich greift, wie zum Beispiel in Elsass-Lothringen. Ebenso am Rande der Ballungsrä­ume, wo viele Einwandere­r leben. Aber auch im Süden des Landes, wo das Bürgertum Angst vor Einwandere­rn aus Afrika hat.

Das politische Programm Marine Le Pens ist auf drastische Weise antieuropä­isch. Ihre Losung lautet: „La France d’abord“. Die „Fremdherrs­chaft“Brüssels soll abgeschütt­elt werden; und die „Priorität der Nation“rückt an die erste Stelle der politische­n Agenda. Das bedeutet einen Kurs des wirtschaft­lichen Protektion­ismus, aber auch eine starke Stimmungsm­ache gegen Immigratio­n und kulturelle „Überfremdu­ng“.

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