Die Elite-Franzosen sind weit weg von Normalmenschen
Tanja Kuchenbecker erläutert in einem neuen Buch, weshalb Marine Le Pen und ihre Partei auf dem Vormarsch sind.
PARIS, SALZBURG. Marine Le Pen ist ihrem antisemitischen Vater JeanMarie Le Pen gefolgt, hat aber dessen rechtsextreme Partei Front National „entdämonisiert“. Von einer „dédiabolisation“war die Rede, wörtlich: einer „Entteufelung“, durch welche der FN neue Wählerschichten anziehen sollte.
Tatsächlich ist der Front National auf dem Vormarsch. Frankreichs ökonomischer Abstieg (mit 10% Arbeitslosigkeit und 25% Joblosigkeit bei der Jugend) trug maßgeblich zu Marine Le Pens Aufstieg bei. Bei jenen Wählerschichten, die besonders benachteiligt oder absturzgefährdet sind, erreichte der FN fast 40% der Stimmen – bei Arbeitslosen, Arbeitern, Handwerkern oder kleinen Geschäftsleuten.
Zwar zählt Marine Le Pen mit einem Jusstudium an einer prestigeträchtigen Universität in Paris selbst zur Elite. Aber gerade dadurch, dass sie als Kämpferin gegen das politische Establishment auftritt, vermag sie viele Proteststimmen zu sammeln. Die Wut der Bürger auf die Eliten ist in Frankreich auch deshalb so groß, weil diese ein weitgehend geschlossenes System darstellen. Viele dieser Elite-Franzosen sind weit weg von den Sorgen des „einfachen Volkes“. Auch die (kommunistische und sozialistische) Linke gilt nicht mehr als Fürsprecherin der „kleinen Leute“. Sie zählt als „gauche caviar“(Kaviar-Linke) selbst zu dem von den Normalmenschen abgehobenen Führungszirkel. Diese Lücke füllt Le Pen, indem sie um die Arbeiter und die sozial Schwächeren wirbt. Aber auch beim Kleinbürgertum findet sie immer mehr Anklang. Besonders stark wird sie von jungen Wählern – der Altersgruppe zwischen 18 und 30 Jahren – unterstützt. Auch bei Männern kommt sie gut an. Besonders viele Wähler findet sie zudem bei der Bevölkerung mit geringer Bildung.
Enorm ist die Enttäuschung darüber, dass weder die Sozialisten noch die Konservativen fähig sind, das Land aus der Krise zu führen. Die deutsche Journalistin und SNAutorin Tanja Kuchenbecker warnt in ihrem Buch „Marine Le Pen – Tochter des Teufels“vor dem „Aufstieg einer gefährlichen Frau“und bringt dieses Phänomen so auf den Punkt: „Viele Bürger lassen sich in einer Mischung aus Protest, Frust und Resignation auf den Front National ein, weil sie keine Alternative mehr sehen.“
In Frankreich funktioniert der gesellschaftliche Dialog (zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften) nicht. In diesem Land einen Kompromiss zu finden ist schwierig, weil sich jedermann entweder „links“oder „rechts“verortet. Frankreichs „blockierte Gesellschaft“lässt Ängste hochschießen, vor einer ungestümen Globalisierung und zu vielen fremden Einflüssen. Die Agitation für eine Abschottung des Landes findet ein starkes Echo. Die Region wird zum Rückhalt für die Verängstigten.
Marine Le Pens Partei ist in ländlichen Regionen sehr präsent, in Dörfern und Kleinstädten. Im Norden und Osten Frankreichs, wo viele Industriebetriebe geschlossen haben und Armut um sich greift, wie zum Beispiel in Elsass-Lothringen. Ebenso am Rande der Ballungsräume, wo viele Einwanderer leben. Aber auch im Süden des Landes, wo das Bürgertum Angst vor Einwanderern aus Afrika hat.
Das politische Programm Marine Le Pens ist auf drastische Weise antieuropäisch. Ihre Losung lautet: „La France d’abord“. Die „Fremdherrschaft“Brüssels soll abgeschüttelt werden; und die „Priorität der Nation“rückt an die erste Stelle der politischen Agenda. Das bedeutet einen Kurs des wirtschaftlichen Protektionismus, aber auch eine starke Stimmungsmache gegen Immigration und kulturelle „Überfremdung“.