Sie bleiben in ihren Dörfern
Obwohl die Temperaturen unter null sinken, wollen die Menschen die verwüsteten Bergdörfer in Italien nicht verlassen.
Obwohl die Temperaturen unter null sinken, verlassen die Menschen die verwüsteten Bergdörfer in Italien nicht.
Das Städtchen Norcia war einst berühmt für seine Würste, seine Basilika aus dem Mittelalter und die intakte Natur der Berge ringsherum. Seit dem Erdbeben am vergangenen Sonntag ist nichts geblieben außer Staub, Angst und Trauer.
Hier im bergigen Herzen Italiens gab es keine große Industrie und Wirtschaftsmotoren, keinen internationalen Massentourismus mit Hotelketten. Hier konnte man das erleben, was Italien so einzigartig und liebenswert macht: das Dorf mit seinem kleinen Café und seinen alten Leuten, die hier schon seit der Geburt leben. „Das Erdbeben hat das Herz unserer Halbinsel verwüstet“, sagte Regierungschef Matteo Renzi. Diese Dörfer seien die Identität des Landes, sie sollten alle wieder aufgebaut werden.
Daran kann man wohl Zweifel erheben. Wer einmal durch die Geisterdörfer der Abruzzen gefahren ist, wo vor sieben Jahren ein Erdbeben gewütet hatte, weiß, dass Renzi die Menschen vor allem trösten will. Das Zentrum der Stadt L’Aquila ist immer noch verwaist, die Menschen wohnen mittlerweile in der seelenlosen Peripherie. Befürchtungen, dass sich diese Geschichte wiederholt, gibt es trotz der Versprechen der Regierung.
Die knapp 5000 Bewohner von Norcia sind verzweifelt. Vielen blieb keine andere Wahl, als ihren Heimatort zu verlassen. Jetzt, nachdem
Seit Sonntag mehr als 1100 Nachbeben
sie nach dem schlimmen Beben vom August, bei dem 298 Menschen gestorben waren, noch verschont geblieben waren.
„Obwohl mein Haus nach dem Beben vom 24. August als sicher erklärt worden war, haben meine Frau und ich seitdem im Auto übernachtet“, erzählt Antonio Apuzzo. Zu viel Angst hätten sie in den vergangenen Wochen gehabt. Der 57-jährige Inhaber eines Salami-Ladens ist einer von Zehntausenden, die am Sonntag plötzlich obdachlos geworden sind. Im Zuge einer Evakuierung kam er mit 47 anderen Bewohnern Norcias an den 100 Kilometer entfernten Trasimeno-See. Dort ist er in einem Hotel untergebracht.
„Niemand hat uns gezwungen, hierher zu kommen. Aber die Alternative war, weiter im Auto zu schlafen und zu spüren, wie die Erde bebt“, sagt Apuzzo. Er wurde in der Nähe von Neapel geboren und hat 1980 das Erdbeben von Irpinia miterlebt. Es war mit mehr als 2900 Toten das folgenreichste Beben in Italien der letzten 100 Jahre.
„Niemand von uns wollte aus Norcia weg“, sagt Apuzzos Frau Bukurije Shuti, eine gebürtige Albanerin. „Wir haben dieses Monster aus der Erde wochenlang ertragen. Jeden Tag sagten wir uns: „Heute ist es vorbei. Doch stattdessen . . .“, erzählt sie und blickt um sich, ohne den Satz zu vollenden.
Den Menschen aus Norcia sei mitgeteilt worden, dass sie zwei bis drei Tage in Trasimeno bleiben würden, sagt Apuzzo. Doch die Holzhäuschen, die ihnen als Übergangsunterkünfte dienen sollen, bis die Stadt wieder aufgebaut ist, sind noch nicht aufgebaut. Das könnte noch Monate dauern. Bis in Norcia die Häuser wieder stehen, könnten Jahre ins Land gehen.
Er wisse nicht, wie lange die Bebenopfer blieben, sagt der Bürgermeister von Passignano sul Trasimeno, Ermanno Rossi. „Die Menschen werden hierhergeschickt, weil Seengebiete bei Beben mit zu den sichersten gehören.“Viele wollen so bald wie möglich zurück nach Hause – zumindest, um Kleidung und andere Dinge aus ihren Häusern zu holen.
Doch die Erde kommt nicht zur Ruhe: Ein weiteres Nachbeben mit der Stärke von 4,8 hat Dienstag die verwüstete Region erschüttert, wieder stürzten Häuser ein. Seit Sonntag gab es mehr als 1100 Nachbeben, fast 20 davon mit einer Stärke von über 4.