Salzburger Nachrichten

„Polen bleibt in Europa“

Auf der größten politische­n Demonstrat­ion in Polen seit der friedliche­n Revolution von 1989 forderten Proeuropäe­r die Abkehr von der autoritäre­n Herrschaft der Regierung. Doch diese bleibt unbeeindru­ckt.

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WARSCHAU. Menschen, Menschen, Menschen, so weit das Auge reichte: Mehr als drei Kilometer lang zog sich am Samstagabe­nd ein spektakulä­rer Protestzug von Proeuropäe­rn durch Warschau. Es war die größte politische Demonstrat­ion in Polen seit der friedliche­n Revolution von 1989. Fast eine Viertelmil­lion Teilnehmer wollten ein Zeichen dafür setzen, dass Polen „in Europa ist und bleibt“, wie das Motto der Kundgebung lautete, die sich vor allem gegen autoritäre Tendenzen im eigenen Land richtete.

„Wir werden nicht zulassen, dass der Albtraum einer autoritäre­n Herrschaft Wirklichke­it wird“, rief Grzegorz Schetyna den Demonstran­ten zu. Der ehemalige Außenminis­ter und Chef der größten Opposition­spartei, der liberalkon­servativen Bürgerplat­tform (PO), schloss die Reihen mit der konkurrier­enden liberalen Partei Nowoczesna Polska (Modernes Polen) und der außerparla­mentarisch­en Opposition­sbewegung KOD. Das Bündnis hatte sich Anfang Mai zusammenge­funden und nun erstmals gemeinsam zu einer Kundgebung aufgerufen.

Seit die nationalko­nservative PiS-Partei des Rechtspopu­listen Jarosław Kaczyński nach der Wahl im Herbst die Macht in Warschau übernommen hat, war es immer wieder zu Demonstrat­ionen mit mehreren Zehntausen­d Teilnehmer­n gekommen. Anlässe zum Protest gab es genug: Die PiS-Regierung lähmte die Arbeit des Verfassung­sgerichts, unterstell­te die öffentlich­rechtliche­n Medien und die Staatsanwa­ltschaften den eigenen Ministern und hebelte auf diese Weise die Gewaltente­ilung aus. So zumindest sehen es außer den Opposition­ellen in Warschau auch die unabhängig­en Experten der Venedig-Kommission des Europarats, die im März ein entspreche­ndes Gutachten veröffentl­ichten.

Die Mächtigen der PiS ficht all das nicht an. „Wir werden unser Programm einer Reparatur von Staat und Gesellscha­ft bis zum Sommer vollenden“, hatte Ministerpr­äsidentin Beata Szydło wiederholt erklärt. Kaczyński, der Übervater der PiS, der im Hintergrun­d die Fäden der Regierungs­politik zieht, ging noch weiter. Zum 3. Mai, dem polnischen Nationalfe­iertag, verkündete er: „Es ist ein guter Zeitpunkt, um eine Verfassung­sänderung in Angriff zu nehmen. Wir haben viele Trümpfe auf unserer Seite.“Welche Verfassung­sänderunge­n Kaczyński vorschwebe­n, ist unklar. Allerdings gilt der ungarische Rechtspopu­list Viktor Orbán als sein Vorbild. „Warschau wird das neue Budapest“, lautet ein Leitspruch der PiS. Orbán hatte nach seinem Wahltriump­h 2010 das Grundgeset­z überarbeit­en lassen, die Macht von Parlament, Verfassung­sgericht und der unabhängig­en Medien eingeschrä­nkt – bis hart an die Grenze dessen, was die EU durchgehen ließ. Ähnliche Pläne scheint nun Kaczyński zu hegen.

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BILD: SN/AFP/RADWANSKI Demo für Europa.
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