Rot-schwarze Pensionslücken
Ein Expertenpapier zur Finanzierbarkeit des Pensionssystems sorgt für Missstimmung in der Koalition. Experten fordern einen „Nachhaltigkeitsmechanismus“
WIEN. Ein „durchgesickertes“Expertenpapier zur Pensionsreform sorgte am Mittwoch für Aufregung in der Koalition. Die vom Finanzexperten Gottfried Haber koordinierte Expertengruppe listet in dem für das Finanzministerium erstellten Papier sehr zum Ärger der SPÖ zusätzliche einschneidende Reformvorschläge auf: Von einer Koppelung des Pensionsantrittsalters an die Lebenserwartung, was einen Anstieg bedeuten würde, über stärkere Anhebung des Frauenpensionsalters, das in Österreich 2020 EU-weit das niedrigste sein wird, bis zur Option, den stetig steigenden Bundeszuschuss zu den Pensionen einzufrieren.
Am 29. Februar 2016 wollen SPÖ und ÖVP festlegen, ob weitere Maßnahmen im Pensionssystem nötig sind. Nach dem Ministerrat gingen am Mittwoch wegen des Berichts wieder einmal die Emotionen hoch. Sozialminister Rudolf Hundstorfer wetterte, ein Einfrieren des Bundeszuschusses würde bedeuten, „dass alle, die in Pension sind, keine Erhöhung mehr kriegen“, was „Altersarmut“bedeute. Eine Koppelung des Pensionsantrittsalters an die Lebenserwartung gebe es in keinem Land der Welt. Auch SPÖ-Geschäftsführer Gerhard Schmid nutzte die Möglichkeit, sich über den angedachten Nachhaltigkeitsmechanismus zu empören: „Für die SPÖ ist jedenfalls klar: Wir lassen nicht Automaten über Menschen entscheiden.“
Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) wiegelte ab: „Das ist nicht unsere Parteilinie“, man werde das Papier innerparteilich diskutieren. Finanzminister Hans Jörg Schelling stellte klar, er wolle keinen simplen Automatismus, der das Pensionssystem an die steigende Lebenserwartung anpasse, sondern eine Art „Gerechtigkeitsmechanismus“, bei dem die Politik bei Vorliegen gewisser Parameter handeln müsse.
Und was sagt der Koordinator des Papiers, Ökonom Gottfried Haber von der Donau-Uni Krems? Laut Haber ist klar erwiesen, dass das Pensionssystem nicht ausreichend nachhaltig sei. Das Papier zeige auf, wo „Stellschrauben zur Verbesserung der Nachhaltigkeit“zu finden seien und über welche Maßnahmen jetzt eine politische Diskussion starten sollte. „Wir sind so unbequem, zur Politik zu sagen: Die Schrauben gibt es, überlegt euch, welche ihr drehen wollt!“Eine der Stellschrauben ist die umstrittene Koppelung des Pensionsantrittsalters an die Lebenserwartung.
Mehrheiten für tiefgreifende Eingriffe zur Sicherung des Pensionssystems zu finden dürfte schwierig werden. Schließlich war gestern, Mittwoch, der Aufschrei über das Expertenpapier aus der FPÖ genauso laut wie aus der SPÖ. FPÖ-Seniorensprecher Werner Neubauer meinte, dass sich mit den angekündigten Pensionssicherungsreformmaßnahmen „die soziale Kälte dem Gefrierpunkt annähert“.
Die Denkfabrik Agenda Austria weist seit Längerem darauf hin, dass die bisherigen Änderungen im Pensionssystem für eine langfristige Sicherung nicht ausreichen. Das Pensionssystem sei derzeit ein Spielball der Parteipolitik. „Etwas so Wichtiges wie die Pensionen muss daher, so wie in Schweden, über einen Nachhaltigkeitsmechanismus geregelt werden. Und der muss vor Parteien-Hickhack sicher sein. Jeder Schritt in diese Richtung ist richtig“, sagt Agenda-AustriaChef Franz Schellhorn.