Mama trägt die Fußfessel
Seit fünf Jahren haben Verurteilte die Möglichkeit, ihre Haftstrafe bis zu zwölf Monaten zu Hause abzusitzen. Das nützt vor allem Familien mit Kindern und auch dem Staat.
WIEN. Prominente wie der einstige Kärntner ÖVP-Chef Josef Martinz oder der ehemalige Innenminister Ernst Strasser sind die Ausnahme. Die Mehrheit unter den 3200 verurteilten Straftätern, die in den vergangenen fünf Jahren seit ihrer Einführung die elektronische Fußfessel bekommen haben, sind Menschen mit Geld-, Gewalt- oder Drogenproblemen. 44 Prozent von ihnen waren wegen Vermögensdelikten, halb so viele wegen körperlicher Gewalt und neun Prozent wegen Verstößen gegen das Suchtmittelgesetz verurteilt worden. 14 Prozent von ihnen sind Frauen – doppelt so viele, als Insassinnen in heimischen Gefängnissen sitzen.
Eine davon ist Frau B., Jahrgang 1984, der nach zwei Jahren Haft für die verbliebenen sechs Monate Freiheitsstrafe die elektronische Fußfessel zuerkannt wurde. B. war wegen Raubüberfalls verurteilt worden und hatte im Gefängnis ihr drittes Kind zur Welt gebracht. Ihre Mutter war finanziell nicht in der Lage, neben den beiden Töchtern (5 und 8 Jahre alt) auch noch das Baby zu versorgen. Die Sozialarbeiter des Vereins Neustart befanden, dass es dem Wohl der ganzen Familie diene, wenn sich B. zu Hause um ihre Kinder kümmere.
Neustart erstellt seit fünf Jahren für die Justiz die Gutachten, auf deren Grundlage die elektronische Fußfessel zuerkannt wird. „Die elektronische Fußfessel kommt speziell Müttern mit Kindern entgegen“, bestätigt Neu- start-Geschäftsführer Christoph Koss. Denn Kinderbetreuung wird als Beschäftigung gewertet – eine der Voraussetzungen für die Zuerkennung des „elektronisch überwachten Hausarrests“, wie die Fußfessel im Juristendeutsch genannt wird.
Die anderen Voraussetzungen sind: Der Nachweis einer Unterkunft, von genügend Einkommen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten sowie die Zustimmung des Lebensgefährten, des Ehegatten oder anderer erwachsener Personen, die im gleichen Haushalt leben. Vor allem aber darf die Strafzeit, die der Strafgefangene abzusitzen hat, zwölf Monate nicht überschreiten.
Das ist nicht nur Neustart-Chef Koss zu wenig. Auch Erich Mayer, Generaldirektor für den Strafvollzug, würde sich wünschen, diese Zeitspanne „maßvoll“auf 18 Monate auszuweiten. Er verweist auf Portugal, Frankreich und Luxemburg, wo die Fußfessel bei einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren Haft vergeben wird, in Belgien sogar bis zu drei Jahren.
Damit kämen deutlich mehr Verurteilte als heute in den Genuss, in ihrem gewohnten Umfeld zu bleiben und ihre Arbeit zu behalten. Die Fußfessel nützt aber auch dem Strafvollzug. Sie entlastet die derzeit ohnehin überfüllten Gefängnisse gleich mehrfach und spart Geld. Während ein Tag Gefängnis 110 Euro kostet, sind es bei einer Fußfessel nur 18 Euro pro Tag. Wobei Strafgefangene für die Fußfessel je nach ihren finanziellen Möglichkeiten selbst bezahlen. Den Höchstbetrag von 22 Euro pro Tag erhält die Justiz freilich nur von Promis wie Josef Martinz oder Ernst Strasser. Im Durchschnitt sind es acht Euro pro Häftling pro Tag.
Für die Fußfessel spricht auch, dass nur ein Prozent ihrer Träger in den vergangenen fünf Jahren rückfällig geworden sind. Neustart-Geschäftsführer Koss führt das auf die intensive Betreuung durch Sozialarbeiter zurück. Er würde sich wünschen, dass die Fußfessel künftig auch an arbeitslose Strafgefangene vergeben wird, die sich auf Jobsuche oder in einer Ausbildung befinden. Damit würde das Problem behoben, weshalb die Fußfessel am häufigsten entzogen wird: Job- oder Wohnungsverlust.
Die Fußfessel verliert auch, wer sich nicht an die strengen Auflagen hält. Ohne Sondererlaubnis dürfen Fußfesselträger ihre Wohnung nur verlassen, um zu arbeiten oder Lebensmittel einzukaufen. Neun Justizwachebeamte und zwei Sozialarbeiter überwachen sie abwechselnd im elektronischen Überwachungszentrum in der Justizanstalt Josefstadt in Wien. Sie haben alle 301 Namen permanent im Blick. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche kontrollieren sie, wo sich wer gerade aufhält. „Sie müssen immer ihr Handy bei sich und eingeschaltet haben. Das System schlägt sofort Alarm, wenn sie auch nur fünf Minuten zu spät kommen, ohne es zu melden“, erklärt Abteilungsleiter Karl Peinhart.