London fiebert mit Hamlet
Noch nie war in Großbritannien eine Theaterproduktion so schnell ausverkauft wie der „Hamlet“mit Benedict Cumberbatch.
Der Grund der Aufregung fährt zu Beginn aus dem Bühnengraben herauf und sitzt grübelnd auf einem aufgeklappten roten Plattenspielerwürfel. Um ihn stehen Kisten voller alter Erinnerungen. Der Dänenprinz in Jeans und Pullover wirkt – bei Musik von Nat King Cole – verträumt und verzaubert.
Derzeit ist es aber weniger Shakespeares Hamlet als sein Darsteller Benedict Cumberbatch, der London und vor allem seine riesige Anhängerschar verzaubert. Die Karten für diese Aufführungen im BarbicanTheater waren angeblich schneller ausverkauft als je für irgendeine Produktion in der Geschichte des britischen Theaters. Vor einem Jahr sollen etwa 20.000 Menschen in einer mehrstündigen Onlineschleife auf die begehrten Tickets gewartet haben; binnen Minuten waren alle Plätze für die zwölfwöchige Spielzeit verkauft.
Und seit den Vorschauen ab 5. August – die offizielle Premiere war am 25. August – stehen Fans jeden Morgen, manchmal sogar schon ab Mitternacht, vor den BarbicanSchaltern an, um zurückgehaltene oder zurückgegebene Karten zu ergattern. Allein das bietet ein tägliches Schauspiel und ist in aller Munde. Und laut Medienberichten werden im regulären Vorverkauf erstandene Karten für mehr als 1000 Pfund (umgerechnet rund 1500 Euro) gehandelt.
Erst waren es die teils vernichtenden Kritiken, die das Stück in die Schlagzeilen hievten. Die Zeitung „The Times“ätzte etwa, es sei „Hamlet für Kinder“. Die meisten Medien feierten jedoch den Darling der britischen Filmszene.
Die Zeitung „The Guardian“berichtet gar, Regisseurin Lyndsey Turner habe den mit „To be or not to be“beginnenden Monolog zunächst an den Anfang des Stücks gesetzt. Doch nach harscher Kritik an dieser sakrilegischen Verfremdung des Klassikers – die Kritikerin Kate Maltby in „The Times“soll dies als „unhaltbar“abgeschmettert haben – wurden die berühmten Worte wieder originalgetreu dem dritten Akt zurückgegeben.
Während einer der ersten Aufführungen sorgte Benedict Cumberbatch dann selbst für den Rummel. Als der 39-Jährige die berühmten Worte „Sein oder Nichtsein“von sich gab, unterbrach er plötzlich den Monolog, um ihn erneut zu beginnen. Später erklärte er: „Ich sehe immer rote Lichter im Publikum.“Er meinte die vielen Handys und Aufnahmegeräte, mit denen ihn seine Fans filmen – in sozialen Netzwerken nennen sie sich „Cumberbitches“(bitch heißt auf Deutsch: Hure, Nutte).
„Für einen Schauspieler auf der Bühne kann ich mir nichts vorstellen, was mir weniger Freude bereiten würde“, ließ er wissen. Im Theater zu fotografieren oder zu filmen sei kränkend. Und: Jene Besucher würden vor allem sich selbst eines Erlebnisses berauben. „Ich kann euch nicht das bieten, was ich euch eigentlich bieten möchte: einen Live-Auftritt, den ihr in Erinnerung behaltet. Und zwar hoffentlich in euren Köpfen – ob gut, schlecht oder gleichgültig – und nicht in euren Telefonen.“
Der Hype um Benedict Cumberbatch ist ins Theater geschwappt, nachdem er auch seinen bisherigen Ruhm mit der Darstellung isolierter Männer errungen hat: In Gestalt der Detektivikone Sherlock Holmes in dunklem Mantel begeistert er in einer TV-Serie seine Fans. Den Codeknacker und Mathematiker Alan Turing verkörperte er im Film „The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben“derart grandios als tragisches Genie, dass er für einen Oscar nominiert wurde. Nun steht er auf der Gästeliste des am 2. September beginnenden Filmfestivals in Venedig.
Der Mann mit den schräg stehenden grünen Augen, den hohen Wangenknochen und der tiefen, tragfähigen Stimme gilt als Großbritanniens berühmtester Schauspielerexport. Benedict Cumberbatch, Absolvent der Eliteschule Harrow und Spross einer betuchten Schauspielerfamilie, fällt durch Understatement, Höflichkeit und Perfektionismus auf. Er fühlt sich wohl in der Rolle des Gentleman in der englischen Gesellschaft. Und er füllt sie mit britischer Klasse aus.
Die Verlobung mit der Theaterregisseurin Sophie Hunter etwa gab er im November des Vorjahres auf altmodische Art und Weise in einer Kleinanzeige der ehrwürdigen „Times“bekannt. Im Juli kam der gemeinsame Sohn zur Welt. Für Benedict Cumberbatch könnte es also beruflich wie privat kaum besser laufen, er steht auf dem Höhepunkt seiner Karriere.
Die Queen hat ihn kürzlich sogar zum „Commander of the British Empire“gekürt. Und nun spielt er mit Hamlet die Traumrolle jedes theateraffinen Schauspielers und steht im Zentrum des Rummels. Noch bis zum 31. Oktober dreht sich im Londoner Theater Barbican alles um ihn.