Freiheit, nicht die Prüderie ändert die Bademoden
Eine Gesellschaft unterwirft sich immer wieder immer neuen Moden. Manchmal trägt man mehr Bekleidung, manchmal weniger.
Kein blanker Busen mehr im Freibad, keine Nackten am Badesee – und schon diagnostizieren g’scheite Menschen einen Wandel allgemeiner Moralvorstellungen hin zu jenem Bild von Sexualität, das man in den USA habe. Wir leben in einer Zeit, in der es unmöglich zu sein scheint, die Schwankungen allgemeiner Modeerscheinungen nicht sofort mit einem Etikett zu versehen. Und wenn es gelingt, einer Entwicklung sozusagen einen Stempel aufzudrücken, der dem weitverbreiteten latenten Antiamerikanismus entgegenkommt, dann ist es besonders genehm.
Die Tatsache, dass die jungen Österreicherinnen und Österreicher es nicht mehr so schick finden, in aller Öffentlichkeit streifenfrei braun zu werden, wird flugs umgedeutet in eine Abwendung von allzu großer Freizügigkeit, hin zu mehr Prüderie.
Das Baden ohne Badebekleidung hat eine lange Geschichte. Schon 1778 wurde erstmals eine Gruppe von Revolutionären erwähnt, die die Nacktheit zum Weltbild erkoren haben. Anfang des 20. Jahrhunderts versuchte die Arbeiterbewegung, den Menschen Licht, Luft und Sonne als gesundes Gegenbild zur Arbeit in Fabrikshallen nahezubringen. Und 1936 ersuchte der damalige englische König Edward VIII. offiziell um die Erlaubnis, auf der kroatischen Insel Rab beim Schwimmen auf die Badehose verzichten zu dürfen. Ideologisch lässt sich dieses Badevergnügen also nicht zuordnen. Da waren schon eher die Gegner eindeutiger deklariert: Konservative Kreise und vor allem die katholische Kirche schimpften über das Nacktbaden als „unanständig“und „anstößig“und „schamlos“.
Deshalb mussten die Naturisten sich ja auch in Vereine mit festgeschriebenen Statuten und Vereinsregeln zurückziehen, um sich zu schützen und abzugrenzen. Das ist heute nicht mehr nötig. Nahezu jeder hat in Europa die Freiheit, sich zum Baden einen Ort zu suchen, wo er sich so kleiden kann, wie er will – oder sich nicht bekleidet. Es regt kaum mehr jemanden auf, wenn irgendwo ein paar Zentimeter Haut extra zu sehen sind. Das wäre ja auch grotesk in einer Welt, in der TV-Programme, Zeitschriften und Zeitungen voll sind von blanken Pos und nackten Busen, in der an manchem Zeitschriftenkiosk mehr Nackte zu sehen sind als am Strand.
Ein großes Maß an Freiheit, nicht mehr Prüderie, führt dazu, dass geradezu paradiesische Zustände einkehren: Zwar sind Bekleidung und Mode ein Statement des Individuums. Doch bleibt man tolerant gegen den Nächsten, ob gestylt oder nackt.