Opfertod der Liebenden im Flammenmeer
Cecilia Bartoli macht Bellinis Oper „Norma“auch in der Wiederaufnahme bei den Salzburger Festspielen zu einem erschütternden Ereignis.
SALZBURG. Die Flammen züngeln hoch, fressen sich durch den Holzboden und breiten sich rasch aus im ganzen Raum. Dort sitzen zwei gefesselte Menschen, ihr Ende ist furchtbar. Lang verzieht sich der Qualm nicht im Haus für Mozart nach diesem pyrotechnischen Meisterwerk, das Bellinis Oper „Norma“zu einem spektakulären Finale verhilft. Als sich am Freitagabend Cecilia Bartoli verbeugt, ist der Jubel triumphal. Zu Recht, denn diese Opernproduktion der Pfingstfestspiele ist ein faszinierendes Beispiel, wie man einen Stoff – wenn auch mit einigen textlichen Ungereimtheiten – in eine „neue“Zeit versetzen kann, ohne danebenzugreifen.
Wie ein Film läuft da eine spannende Geschichte ab. Das beginnt schon zur Ouvertüre mit Szenen, welche die bedrohliche Atmosphäre verdichten. Kinder tollen herum vor dem Schulhaus und werden von einer Lehrerin zur Ordnung gerufen, bewaffnete Männer der Wehrmacht tauchen auf, mit ihnen ein zwielichtiger Zivilist, wohl SSScherge. Die Machtdemonstration verläuft glimpflich, das Aufatmen ist nur kurz. Das Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier machte aus Bellinis Druidin im von den Römern besetzten Gallien in vorchristlichen Zeiten eine Widerstandskämpferin der Resistance im Zweiten Weltkrieg. Im Schulhaus treffen sich die Partisanen, allen voran Normas Vater Oroveso. Doch – wie in Bellinis Büchl: Es gilt, was Norma, die Führungsfigur, sagt oder weissagt. Der Kampfeswille der Untergrundkämpfer brodelt hoch, doch bremst Norma, denn sie hat private Probleme. Sie liebt nicht nur den „römischen“, nun also faschistischen Statthalter Pollione, sie hat sogar zwei Kinder von ihm und will ihn schützen. Pollione wiederum hat mittlerweile die „Priesterin“Adalgisa verführt, welche Norma in naiver Ahnungslosigkeit von ihrer Verwirrung erzählt und eine Eskalation auslöst. Für bange Minuten wird der Opernabend fast schmerzhaft verdichtet, atemberaubend. Norma ist am Boden zerstört, hockt an die Wand gelehnt, erst der Griff zur Schnapsflasche, dann zum Messer. Die Kinder! „Sie schlafen beide. Sie werden die Hand nicht sehen, die sie durchbohrt“, singt sie. Wie Cecilia Bartoli diese inneren Kämpfe spielt, singt, Gefühlswelten ausbreitet, ist hohe Kunst. Die Zerrissenheit der Figur macht sie zu einem Emotionsthriller. Bei der Arie „Casta diva“wagt man kaum zu atmen, und wenn Norma mit den Partisanen an die Rampe tritt und „Guerra, Guerra!“schreit, versinkt man vor Schreck im Sessel.
Es folgt eine Gefühlskatastrophe auf die andere. Pollione, mittlerweile Gefangener, findet angesichts der Opferungsbereitschaft Normas seine Liebe wieder, zuletzt liefern die Widerstandskämpfer ihre „verräterische“Leitfigur und auch den verhassten Pollione dem Feuertod aus.
Giovanni Antonini leitet mit großer Anteilnahme sensibel das Zürcher Originalklangensemble La Scintilla. Rebeca Olvera als mädchenhaft süße Adalgisa, John Osborne mit schlankem Belcanto-Tenor als Pollione und Michele Pertusi als sonorer Oroveso sind eine glänzende Besetzung der tragischen Figuren, auch der Coro della Radiotelevisione Svizzera ist engagiert bei der Sache. Cecilia Bartoli mit dunkel timbriertem Mezzo überragt alle an Intensität.