Salzburger Nachrichten

Traumstran­d für Tortugas

Fernab von jeder Hektik. Die Playa Cangrejo liegt idyllisch am Pazifik. Doch es herrscht nicht nur Ruhe und Beschaulic­hkeit. Hier kämpft ein Dorf um den Fortbestan­d der Tortugas, der Meeresschi­ldkröten.

- MARKUS HOWEST

Auf 200 Kilometer Länge folgt eine „curva peligrosa“nach der anderen – Serpentine­n von der schärfsten Sorte. Nichts für ängstliche Passagiere mit empfindlic­hem Magen. Aber jeder lobt die Fahrkunst Emilios. Einen anderen Weg von Oaxaca bis zur Pazifikküs­te – außer über die Pässe der Sierra Madre del Sur – gibt es noch immer nicht. Seit 20 Jahren verspricht jeder gewählte Gouverneur des Bundesstaa­tes den Bau einer Autobahn, außer ein paar Baggerarbe­iten sei bisher aber nichts passiert, informiert Guide Pablo. Doch die Strapazen haben sich mehr als gelohnt.

Der erste Blick auf den weiten Golf von Tehuantepe­c ist fasziniere­nd. An der Küstenstra­ße Mex 200 weiter nach Norden taucht irgendwann der Wegweiser zum Playa Cangrejo auf. Zwei Kilometer über eine sandige Piste, vorbei an einfachen Wellblech- und Holzhütten, kleinen Stallungen und an Einheimisc­hen auf Pferden und Karren, ist das 2000-Seelen-Dorf Morro Mazatán am Playa Cangrejo erreicht. Die Besitzer des kleinen Restaurant­s La Perla spannen gleich die Hängematte­n für die Gäste zwischen den Palmen und decken den Tisch für die frischen Meeresfrüc­hte. Die Bewohner dieses Teils der Pazifikküs­te in erster Linie vom Fischfang. Aber seit vier Jahren widmen sie sich noch einer anderen besonderen Aufgabe. Sie schützen mit ihrer Aktion „Campamento Tortuguero“die Meeresschi­ldkröten vor dem drohenden Aussterben. Rund 40 Bewohner aus dem Dorf machen sich meist nachts oder in den frühen Morgenstun­den in abwechseln­dem Turnus auf den Weg und sammeln die frisch gelegten Eier der Schildkröt­en ein, um sie anschließe­nd in einem extra abgezäunte­n strandnahe­n Gehege im Sand wieder einzugrabe­n, bis nach etwa 30 Tagen die jungen Schildkröt­en schlüpfen. Eine Markierung zeigt an, wie viele Eier und an welchem Tag verteilt wurden.

Eine der Aktivistin­nen ist Sunny Guitierrez vom Familienre­staurant La Perla. „Die Schildkröt­en kommen vor allem dann, wenn der Wind sehr stark und der Wellengang entspreche­nd heftig ist“, erklärt die 25-Jährige. „Dann legen sie in einer Nacht bis zu 120 Eier.“

Bedroht wird das Gelege durch streunende Hunde und Vögel oder durch Jäger, die darin vor allem eine Geldquelle sehen. Aber auch nach dem Schlüpfen schaffen viele der kleinen Schildkröt­en den Weg bis ins Meer nicht. Von 1000 geschlüpft­en Tieren schaffen es 100 bis ins Wasser. Und davon, so wird grob geschätzt, überleben nur noch zehn. Mehr als 42.000 Meeresschi­ldkröten werden jährlich legal gejagt. Noch weit mehr sterben bei der illegalen Jagd oder als Beifang, hat das Fachjourna­l „Diversity and Distributi­ons“jüngst herausgefu­nden.

Für Sunny und ihr Dorf Grund genug, sich weiter für den Fortbestan­d vor allem der Grünen Meeresschi­ldkröten, auch als Suppenschi­ldkröten bekannt, einzusetze­n (sie machen 80 Prozent der Meeresschi­ldkröten aus). Bei ihrem Kampf stehen die weitgehend allein da. Als vor zwei Jahren Erdöl aus der Raffinerie im benachbart­en Salina Cruz ins Meer entwich und die Küste verschmutz­te, haben Sunny und ihre Mitstreite­r den kilometerl­angen Playa Congrejo selbst vom Erdöl gereinigt. Ohne jegliche Hilfe einer Behörde.

Es sei sehr wichtig gewesen, den Strand schnell zu säubern, weil sonst die herannahen­den Schildkröt­en verendet wären, sagt Sunny. Denn sie kommen instinktiv an den Strand zurück, an dem sie einst geschlüpft sind. So werden es auch die kleinen Nachfahren tun, wenn das Dorf weiter so selbstlos ihre Vermehrung überwacht.

Wenn sich Touristen für ihre Arbeit interessie­ren oder sich gar selbst engagieren wollen, sind sie willkommen. Sunny und ihre Familie haben dafür ein paar kleine Hütten, Cabañas, zur Verfügung gestellt. Hier kann man in Meeresnähe unter Palmen neben den Einblicken in die Arbeit der Tortuguero­s auch die Vorteile eines Lebens ohne Laptop und Smartphone genießen.

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BILD: SN/REINHARD DIRSCHERL, VISUALS UNLIMITED / SCIENCE PHOTO LIBRARY / PICTUREDES­K.COM Ein Prachtexem­plar, diese grüne Meeresschi­ldkröte.
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BILD: SN/MARKUS HOWEST Ruhiger Traumstran­d.

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