Traumstrand für Tortugas
Fernab von jeder Hektik. Die Playa Cangrejo liegt idyllisch am Pazifik. Doch es herrscht nicht nur Ruhe und Beschaulichkeit. Hier kämpft ein Dorf um den Fortbestand der Tortugas, der Meeresschildkröten.
Auf 200 Kilometer Länge folgt eine „curva peligrosa“nach der anderen – Serpentinen von der schärfsten Sorte. Nichts für ängstliche Passagiere mit empfindlichem Magen. Aber jeder lobt die Fahrkunst Emilios. Einen anderen Weg von Oaxaca bis zur Pazifikküste – außer über die Pässe der Sierra Madre del Sur – gibt es noch immer nicht. Seit 20 Jahren verspricht jeder gewählte Gouverneur des Bundesstaates den Bau einer Autobahn, außer ein paar Baggerarbeiten sei bisher aber nichts passiert, informiert Guide Pablo. Doch die Strapazen haben sich mehr als gelohnt.
Der erste Blick auf den weiten Golf von Tehuantepec ist faszinierend. An der Küstenstraße Mex 200 weiter nach Norden taucht irgendwann der Wegweiser zum Playa Cangrejo auf. Zwei Kilometer über eine sandige Piste, vorbei an einfachen Wellblech- und Holzhütten, kleinen Stallungen und an Einheimischen auf Pferden und Karren, ist das 2000-Seelen-Dorf Morro Mazatán am Playa Cangrejo erreicht. Die Besitzer des kleinen Restaurants La Perla spannen gleich die Hängematten für die Gäste zwischen den Palmen und decken den Tisch für die frischen Meeresfrüchte. Die Bewohner dieses Teils der Pazifikküste in erster Linie vom Fischfang. Aber seit vier Jahren widmen sie sich noch einer anderen besonderen Aufgabe. Sie schützen mit ihrer Aktion „Campamento Tortuguero“die Meeresschildkröten vor dem drohenden Aussterben. Rund 40 Bewohner aus dem Dorf machen sich meist nachts oder in den frühen Morgenstunden in abwechselndem Turnus auf den Weg und sammeln die frisch gelegten Eier der Schildkröten ein, um sie anschließend in einem extra abgezäunten strandnahen Gehege im Sand wieder einzugraben, bis nach etwa 30 Tagen die jungen Schildkröten schlüpfen. Eine Markierung zeigt an, wie viele Eier und an welchem Tag verteilt wurden.
Eine der Aktivistinnen ist Sunny Guitierrez vom Familienrestaurant La Perla. „Die Schildkröten kommen vor allem dann, wenn der Wind sehr stark und der Wellengang entsprechend heftig ist“, erklärt die 25-Jährige. „Dann legen sie in einer Nacht bis zu 120 Eier.“
Bedroht wird das Gelege durch streunende Hunde und Vögel oder durch Jäger, die darin vor allem eine Geldquelle sehen. Aber auch nach dem Schlüpfen schaffen viele der kleinen Schildkröten den Weg bis ins Meer nicht. Von 1000 geschlüpften Tieren schaffen es 100 bis ins Wasser. Und davon, so wird grob geschätzt, überleben nur noch zehn. Mehr als 42.000 Meeresschildkröten werden jährlich legal gejagt. Noch weit mehr sterben bei der illegalen Jagd oder als Beifang, hat das Fachjournal „Diversity and Distributions“jüngst herausgefunden.
Für Sunny und ihr Dorf Grund genug, sich weiter für den Fortbestand vor allem der Grünen Meeresschildkröten, auch als Suppenschildkröten bekannt, einzusetzen (sie machen 80 Prozent der Meeresschildkröten aus). Bei ihrem Kampf stehen die weitgehend allein da. Als vor zwei Jahren Erdöl aus der Raffinerie im benachbarten Salina Cruz ins Meer entwich und die Küste verschmutzte, haben Sunny und ihre Mitstreiter den kilometerlangen Playa Congrejo selbst vom Erdöl gereinigt. Ohne jegliche Hilfe einer Behörde.
Es sei sehr wichtig gewesen, den Strand schnell zu säubern, weil sonst die herannahenden Schildkröten verendet wären, sagt Sunny. Denn sie kommen instinktiv an den Strand zurück, an dem sie einst geschlüpft sind. So werden es auch die kleinen Nachfahren tun, wenn das Dorf weiter so selbstlos ihre Vermehrung überwacht.
Wenn sich Touristen für ihre Arbeit interessieren oder sich gar selbst engagieren wollen, sind sie willkommen. Sunny und ihre Familie haben dafür ein paar kleine Hütten, Cabañas, zur Verfügung gestellt. Hier kann man in Meeresnähe unter Palmen neben den Einblicken in die Arbeit der Tortugueros auch die Vorteile eines Lebens ohne Laptop und Smartphone genießen.