Palfinger fährt weiter Richtung Russland
Russland steckt tief in der Krise. Während andere das Weite suchen, zählt der Kranbauer binnen vier Jahren fünf Werke und ist zufrieden.
ISCHIMBAI. Das südliche Baschkortostan ist nicht der Ort, wo sich westliche Investoren auf die Füße treten: endlose Wälder und Wiesen, Felder mit Getreide und Mais, kleine Dörfer mit einstöckigen Häusern, meist aus Holz, manchmal aus Eternitplatten, und fast immer mit dem traditionellen, geschnitzten Zierrand rund um jedes Fenster. In simplen, gelb gestrichenen Rohren führt zu jedem der Häuser knapp über Kopfhöhe eine Gasleitung.
„Benzin und Gas sind eigentlich das Einzige, was hier deutlich billiger ist als in Europa“, sagt Dolmetscherin Alina Latypova. Drei Jahre hat die 30-Jährige in Deutschland studiert und gearbeitet. 31 Rubel, umgerechnet 47 Cent, kostet der Liter Benzin in Baschkortostan. Für einen Liter Milch oder ein Brot zahle man fast das Doppelte. Und die Preise steigen rasant, nicht nur für Importware. „Olivenöl oder meinen Lieblingskäse Brie bekommt man gar nicht mehr“, sagt Latypova. Auch die Preise für Grundnahrungsmittel hätten sich seit der Krise verdoppelt. Die EU-Sanktionen treffen Russland hart. Über Politik reden will hier aber kaum einer.
Palfinger-Vorstand Herbert Ortner schon: „Die Sanktionen waren ein schwerer Fehler“, sagt er. „Man treibt die Russen in die Hände der Chinesen, obwohl sie sich Europa eigentlich näher fühlen. Und man sorgt dafür, dass der wichtige russische Markt für europäische Zulieferer verloren geht.“Uneigennützig argumentiert der Palfinger-Chef nicht. Für den Salzburger Kranbauer ist Russland nach Amerika und Deutschland der drittwichtigste Markt. 2014 habe man„in einem absoluten Krisenjahr“einen Rekordumsatz von 100 Mill. Euro erreicht und eine zweistellige Ebit-Marge verzeichnet. Das ist fast ein Zehntel des gesamten Jahresumsatzes. Laut am Donnerstag publizierten Zahlen stieg der Umsatz im Halbjahr auf 606 Mill. Euro bei einem operativen Ergebnis von 53,7 Mill. Euro.
In der Vorwoche wurde in Ischimbai in Baschkortostan ein neu errichtetes Werk des 2011 übernommenen russischen Marktführers für Lkw-Krane, Inman, eröffnet. 15 Mill. Euro hat Inman-Palfinger in den Neubau und Maschinen investiert. 530 Mitarbeiter fertigten hier zuletzt 1200 Krane – seit der Übernahme konnte man die Produktion jährlich um 200 Stück steigern. Dazu kommen zwei Werke des 2013 übernommenen ForstkranHerstellers PM im Norden Russlands. 2015 gründete Palfinger zwei Joint Ventures mit dem größten russischen Lkw-Produzenten Kamaz, eines zur Zylinderproduktion, ein zweites für Lkw-Aufbauten. Das Umsatzpotenzial für alle fünf Werke sieht Ortner bei 300 Mill. Euro – sobald die russische Wirtschaft auf Vorkrisenniveau zurückkehre.
Nur geschadet hat die Krise Palfinger aber nicht. Der Rubel-Verfall schaltete die westliche Konkurrenz so gut wie aus. Durch den Absturz der Währung hätten alle Kranbauer die Preise um „20 bis 40 Prozent“anheben müssen, erklärt Ortner. Palfinger produziere als Einziger in Russland selbst und habe damit nur einen Preisnachteil von etwa fünf Prozent durch importierte Komponenten verzeichnet. Während sich der Gesamtmarkt für Lkw-Krane in Russland 2014 auf rund 2000 Stück halbierte, konnte Inman-Palfinger die Produktion von 1000 auf 1200 Stück steigern. „Den Marktanteil wollen wir halten, wenn der Markt anspringt“, sagt Ortner. Der KranImport ist auch für Palfinger eingebrochen.
Die in Russland erzeugten Produkte seien technologisch noch sehr einfach, erklärt Hannes Griessner, der seit 2011 die Integration von Inman in den Palfinger-Konzern leitet. Nicht nur, weil es keinen Sinn habe, eine mechanische Produktion mit 530 Mitarbeitern in nur einem Schritt auf Vollautomatisierung umzustellen. „Vieles wird hier anders benötigt.“Elektronik etwa habe kein Kran hier. In Ischimbai hat es im Winter minus 40 Grad, in Sibirien ist es noch kälter, das halte keine Elektronik aus. „Kamaz-Lkw werden nach wie vor so konstruiert, dass man im Ernstfall darunter ein Feuer anzündet, um starten zu können“, sagt Griessner. Zudem sei es in einem Land, in dem der Händler oft tausend Kilometer entfernt sei, essenziell, den Kran selbst „mit Hammer und Schraubenzieher“reparieren zu können.
Das weiße Palfinger-Werk steht in Ischimbai im Kontrast zu den in die Jahre gekommenen Wohnsiedlungen, Zementwerken und Erdölanlagen. Auch die 60.000-Einwohner-Stadt verdankt ihre Entstehung Erdölfunden in den 1930er-Jahren. Heute kommt das Öl meist aus Sibirien. Neben der Ukraine-Krise und den Sanktionen ist es vor allem der niedrige Ölpreis, der Russland hart trifft. Eigentlich habe man die Kranproduktion heuer auf 1800 Stück steigern wollen, so Griessner. Jetzt will man den Absatz halten. Einer der größten Abnehmer ist das Militär. „Private können sich die Finanzierung nicht leisten.“Zwar hat sich die russische Zentralbank von ihrer Hochzinspolitik verabschiedet, Private aber zahlen für einen Kredit immer noch Zinsen von 20 Prozent.
Verschärft hat sich der politische Ton. „Wir wurden wie alle russischen Firmen von der Zollbehörde angeschrieben, die Importe aus Europa zu reduzieren“, sagt Griessner. Man möge auf russische, notfalls chinesische Hersteller setzen. „Wer in Russland lebt, weiß, dass das nicht bloß eine freundliche Aufforderung ist.“Verschärft hat sich die Lage auch für die Bevölkerung. 200 Euro beträgt der Mindestlohn. „Wer 400 Euro bekommt, hat einen guten Job“, sagt Alina Latypova. Und der sei schwer zu finden. Vier Jahre hat sich die Dolmetscherin mit Gelegenheitsjobs abgeholfen, bis Palfinger „als Erster überhaupt“auf ihre Bewerbung reagiert und sie angestellt habe. Jetzt leistet sie sich eine 30-m2-Wohnung – in einem der wenigen neuen Häuser in Ischimbai.
Bei minus 40 Grad versagt jede Elektronik.“
Hannes Griessner, Palfinger