Auslaufmodell Lebensversicherung?
Veränderte Rahmenbedingungen zwingen Lebensversicherer dazu, ihr Geschäftsmodell zu überdenken.
Knapp 5,3 Millionen Verträge aus der klassischen Lebensversicherung haben Österreichs Versicherungsunternehmen in ihrem Bestand. „Die absolute Sicherheit des staatlich überwachten Deckungsstocks mit einem einzigartigen gesetzlichen Pfandrecht des Versicherungsnehmers auf das darin gehaltene Kapital samt zugewiesener Gewinnbeteiligung haben die klassische Lebensversicherung gerade im momentanen Niedrigzinsumfeld zum bislang attraktivsten Vorsorgeprodukt gemacht“, erklärt der Vorsitzende des Instituts für Versicherungswirtschaft, Generaldirektor Josef Stockinger. „Gerade in der aktuellen Niedrigzinsphase haben diese Produkte zuletzt eine echte Renaissance erlebt. Viele Kunden freuen sich heute, dass sie vor Jahren auf dieses bewährte und sichere Vorsorgeprodukt gesetzt haben.“Stockinger, zugleich auch Chef der Oberösterreichischen, stellt aber klar fest, dass der Druck auf die Anbieter weiter steigen wird.
Selbst nach Senkung der maximal erlaubten Garantieverzinsung auf 1,5 Prozent per 1. Jänner 2015 sei die klassische Lebensversicherung weiterhin attraktiv. Im Gegenzug haben Versicherer die Verpflichtung, Garantien hochverzinster Altverträge trotz niedrigen Zinsniveaus zu erfüllen, was zunehmend schwieriger wird. Produktivitätssteigerungen und Kostensenkungen würden notwendig sein, damit das Lebensversicherungsgeschäft weiterhin profitabel betrieben werden könne, betont der Experte. Hinzu kommen auch noch steigende Anforderungen durch das neue Aufsichtsregime und neue Verbraucherschutzbestimmungen.
Durch das neue Regelwerk Solvency II wird die Mehrheit der Lebensversicherer ihr Eigenkapital aufstocken müssen. Durch die neue noch zu beschließende EU-Richtlinie IDD werden Maßnahmen für mehr Transparenz bei den Provisionen gesetzt werden. Stockinger: „Trotz dieses schwierigen Geschäftsumfelds hat die klassische Lebensversicherung nach wie vor viele deutliche Vorteile gegenüber alternativen Anlageformen, wie etwa die Absicherung biometrischer Risiken wie Langlebigkeit, Tod, Berufsunfähigkeit und Pflegebedürftigkeit, eine langfristige (bis zu lebenslanger) Garantie auf Mindestleistungen zuzüglich Gewinnbeteiligung und schließlich eine hohe Sicherheit der Kapitalanlage durch Risikostreuung, strenge Veranlagungsvorschriften und eine laufende externe Kontrolle.“
Für Jochen Ruß, Geschäftsführer der Gesellschaft für Finanz- und Aktuarwissenschaften im deutschen Ulm ist die klassische Lebensversicherung besser als ihr Ruf, weil kollektive Ausgleichseffekte bei der Kapitalanlage das Anlagerisiko reduzieren, ohne die Rendite zu schmälern. Wenn man mit anderen Anlagen eine ähnlich geringe Schwankung erzielen möchte, bekommt man eine geringere Rendite. „Um eine vergleichbare Rendite zu erzielen, müssten hingegen bei anderen Anlagen höhere Schwankungsrisiken eingegangen werden“, betont Ruß. Er fügt aber hinzu, dass die klassische Versicherung primär für risikoscheue, also sicherheitsbewusste Menschen geeignet ist. „Sofern ein höheres Renditepotenzial gesucht wird, sind jedoch immer dann, wenn der Kunde zumindest gewisse Mindestgarantien wünscht, oft Produkte sinnvoll, die zumindest teilweise auf die klassische Lebensversicherung zurückgreifen.“
Um künftigen Herausforderungen gewachsen zu sein, sei von den Versicherungsunternehmen neuerlich viel Innovationskraft gefordert. Einzelne Anbieter hätten bereits reagiert und neue Produkte aufgelegt. Der Trend geht beispielsweise in Richtung verminderter Zinsgarantien, mehr Flexibilität und veränderter Kostenstrukturen. So sind mittlerweile manche Versicherer vom Konzept der Garantieverzinsung gänzlich abgerückt und bieten lediglich eine Kapitalgarantie auf die einbezahlten Prämien an.
Bei einigen Versicherern werden mittlerweile die Abschlusskosten auf die gesamte Laufzeit verteilt kalkuliert und auch die bisher übliche einmalige Abschlussprovision für den Vertrieb auf eine laufende Betreuungsprovision umgestellt.
In Deutschland konzentrieren sich viele Versicherer wieder verstärkt auf fondsgebundene Polizzen, um Risiken und Kapitalbedarf zu minimieren. Bereits die Vergangenheit hat gezeigt, dass Versicherungen auf negative wirtschaftliche und soziale Umstände durch neue, innovative Produkte gut reagieren können. Ulrich Mündlein vom Münchner Beratungsunternehmen Oliver Wyman geht davon aus, dass auch in einem Niedrigzinsumfeld Wachstum möglich ist und Produkte mit Garantien weiterhin reüssieren können. „Der Blick nach Japan und in die USA zeigt, dass auch in einem Niedrigzinsumfeld Produkte mit Garantien erfolgreich angeboten werden können. Dies erfordert aber ein neues Design der Produkte. Dabei wird es unumgänglich sein, die Höhe der Garantie und der Kosten zu reduzieren“, weiß der Münchner Experte.