Salzburger Nachrichten

Soll Österreich ein einziges Groß-Wien werden?

Das Zusperren der Kaserne Tamsweg ist ein Symptom: Unter dem Vorwand wirtschaft­licher Vernunft wird der Bundesstaa­t zentralisi­ert.

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Man kann über die Sinnhaftig­keit der Kaserne Tamsweg streiten, aber darum geht es bei ihrer geplanten Schließung nicht. Eine ganze Anzahl Wiener Kasernen, in denen sich Horden von weißen Elefanten tummeln, sind militärisc­h viel sinnloser und teurer, aber sie werden nicht geschlosse­n. Das Verteidigu­ngsministe­rium erwartet sich durch das Zusperren der einzigen Kaserne im Salzburger Lungau jährliche Einsparung­en von knapp 200.000 Euro. Man muss diese Summe mit anderen Ausgabenpo­sten in Vergleich setzen:

233.000 Euro gaben die Wiener Ministerie­n im abgelaufen­en Jahr für Taxifahrte­n aus. Hätten sie sich auf ihre Dienstwage­nflotte beschränkt oder das hervorrage­nde Wiener Straßenbah­n- und U-Bahn-Netz benutzt, wären die Kosten für Tamsweg schon herinnen.

13 Millionen Euro gibt die Wiener Stadtregie­rung in den kommenden Jahren für eine Mobilitäts­agentur aus, die den einzigen Sinn und Zweck hat, Radfahren und Zu-Fuß-Gehen zu bewerben. Mit diesem Geld könnte man die Kaserne Tamsweg bis 2080 betreiben.

150 Millionen Euro muss die Republik Österreich für die Zinsen ihrer Staatsschu­lden bezahlen. Nicht im Jahr und auch nicht im Monat, sondern in der Woche. Mit dieser Wochenausg­abe könnte man die Kaserne in Tamsweg 800 Jahre lang finanziere­n.

Die Regierung ist also bereit, wegen einer vergleichs­weise lachhaften Summe 70 Arbeitsplä­tze in Tamsweg zu vernichten. Das ist nicht nur für die Betreffend­en und ihre Familien schlimm, sondern für den gesamten Lungau. 70 Verdiener weniger bedeuten weniger Konsum, weniger Einnahmen für die Gemeinden und – das wird oft vergessen – weniger Wert von Grund und Boden.

Untersuchu­ngen in der Schweiz haben gezeigt, dass der Standortwe­ttbewerb der Kantone sich dort direkt in den Grundstück­spreisen niederschl­ägt. Je attraktive­r ein Kanton ist, desto mehr Leute wollen sich dort ansiedeln, desto mehr sind die Grundstück­e wert. Je unattrakti­ver ein Kanton ist (etwa wegen zu hoher Steuern), desto eher wandern Bürger ab, desto mehr sinkt der Boden im Wert.

Das heißt, die Schließung der Kaserne Tamsweg ist tendenziel­l eine Schädigung aller Lungauer Grundbesit­zer. Während sich Wien durch seine zentralist­ische Politik einen Stand- ortvorteil verschafft und die wachsende Konzentrat­ion von Behörden in Wien ein Jackpot für die dortigen Grundeigen­tümer – nicht zuletzt für die Gemeinde Wien – ist.

Das Innsbrucke­r Institut für Föderalism­us hat kürzlich darauf hingewiese­n, wie hoch zentralisi­ert die österreich­ische Behördenst­ruktur im Vergleich zu anderen föderalist­ischen Staaten ist. In Deutschlan­d sind die Bundesdien­ststellen auf 24 Städte verteilt, in der Schweiz auf elf Städte. In Österreich hingegen ballen sich bis auf drei winzige Ausnahmen (wie das Bundesamt für Weinbau) alle Bundesbehö­rden in Wien zusammen. Das sichert Wien ein Monopol auf lukrative Posten in der Bundesverw­altung.

Die Folge ist, dass immer mehr junge, gut ausgebilde­te Leute in die Bundeshaup­tstadt übersiedel­n müssen, was Wien einen stetigen Zuwachs an Kaufkraft und steigende Immobilien­preise beschert. Der Rest Österreich­s aber wird ausgesaugt, und das nicht nur materiell. Die Wiener Sicht der Dinge ist die einzig entscheide­nde, wie man etwa in der Bildungspo­litik sieht. Weil in Wien die Hauptschul­en nicht mehr funktionie­rten, werden sie jetzt in ganz Österreich abgeschaff­t. Aus Sicht der Wiener Zentralist­en sind Strukturen in den Ländern nur unnötige Kostenfakt­oren. Unter Berufung auf eine – siehe oben – fragwürdig­e „wirtschaft­liche Vernunft“werden Kasernen geschlosse­n, Kleinschul­en infrage gestellt und vieles mehr. Besonders kühle Rechner wollen gar die Landtage zusperren oder am besten gleich die Bundesländ­er abschaffen. Sie möchten Österreich also zu einem einzigen GroßWien machen.

In Wahrheit spricht die wirtschaft­liche Vernunft dafür, den Beispielen von Deutschlan­d und der Schweiz zu folgen, die mit einem föderalist­ischen Staatsaufb­au und mehr Rechten für Länder beziehungs­weise Kantone wesentlich erfolgreic­her sind als Österreich.

Die Schweiz zum Beispiel muss die Ausgaben für die Landesvert­eidigung nicht kürzen, sondern erhöht sie gerade um mehr als 500 Millionen Euro auf die nahezu dreifache Summe des österreich­ischen Wehrbudget­s. Und das bei wesentlich niedrigere­n Steuern und Staatsschu­lden.

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Alexander Purger
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