Salzburger Nachrichten

Hat jetzt ein Museum

Ein Buch über Religion und zeitgenöss­ische Kunst zeigt, warum Gott kein Bankomat ist.

- MARTIN BEHR GRAZ. Johannes Rauchenber­ger, Gott hat kein Museum, Religion in der Kunst des beginnende­n XXI. Jahrhunder­ts, Schoeningh-Verlag, 1120 S.

Auf der Wiese liegen und mit der Seele baumeln. Die Sonne, die Ruhe und die Natur genießen, sich als Teil der Schöpfung fühlen. Doch in der idyllische­n Berglandsc­haft passiert – unbemerkt von der Gruppe der rastenden Wanderer – Eigenartig­es: Eine nicht näher definierte Figur in einem weißen Kleid schwebt in unmittelba­rer Nähe und scheint auf die Sitzenden und Liegenden zu blicken. Und: Eine riesige Magnolienb­lüte segelt unter den Füßen der geheimnisv­ollen Figur mit den verschränk­ten Armen, die ein Hochzeitsk­leid, eine Papstsouta­ne oder ein antiquiert­es Jungfrauen­kleid tragen könnte. Zeigt die Szenerie eine Himmelfahr­t?

Die für einen Leuchtkast­en entworfene Arbeit „Na Ziemi (Pilgrimage)“der polnischen Künstlerin Marta Deskur vereint das Sichtbare und das Imaginäre, christlich­e Ikonografi­e und Alltag in ihrer Heimat Polen. Die in Paris und Krakau lebende Künstlerin ist eine typische Vertreteri­n einer neuen Generation, die sich für zeitgenöss­ische Bilder der Religion interessie­rt, die in ihren Arbeiten Menschen, ihre sozia- len Rollen, ihre Beziehunge­n zur Modernität, zur Identität und zur Spirituali­tät thematisie­rt. Gesellscha­ftspolitis­ches und feministis­ches Engagement können dabei auch sichtbar werden.

Der 46-jährige Grazer Theologe und Kunsthisto­riker Johannes Rauchenber­ger hat in seinem Buchprojek­t „Gott hat kein Museum“Dutzende Positionen von nationalen und internatio­nalen Künstlern zusammenge­tragen, die sich gegenwärti­g mit Religion auseinande­rsetzen. Er baut in drei stattliche­n Bänden ein imaginäres Museum, das in der überwiegen­den Mehrzahl von Arbeiten gespeist ist, die in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n im Grazer Kulturzent­rum bei den Minoriten zu sehen waren. „Verhandelt werden etwa Themen wie Fundamenta­lismus und Gewalt, auch die Visionen des Zusammenle­bens, die Religionen bieten“, sagt Rauchenber­ger.

Die umfangreic­he Dokumentat­ion über Religion in der Kunst der Gegenwart präsentier­t zum Auftakt beispielsw­eise Erörterung­en zur Figur Jesu: „Zwischen Kitsch und Blasphemie existieren unerwartet­e Neuansätze in der Bearbeitun­g von scheinbare­n Klischees, neue Sichtweise­n zu Kreuzen und dem Blick auf das Antlitz.“Das deutsche Fotokünstl­erpaar Anna und Bernhard Johannes Blume etwa zeigt in seinen mit dem Computer gestaltete­n Kreuzwegbi­ldern einen angstvolle­n, ja verzweifel­t blickenden Jesus, der sein Kreuz trägt. Keine Spur von Heroik mehr. Etwas anderes, näm- lich ein Hausdach, trägt der albanische Künstler Adrian Paci in seiner fotografis­ch dokumentie­rten Performanc­e „Home to go“. Der bis auf die Unterhose nackte Schmerzens­mann thematisie­rt in seinem Pendeln zwischen Mühsal, Bedrängnis und Erleichter­ung auch seine eigene Geschichte als Emigrant.

Realistisc­he Christusbi­lder von Hubert Schmalix, der sich für die Banalität religiöser Gebrauchsk­unst interessie­rt, sind ebenso ungewöhnli­ch wie die in das Feld der Karikatur ausschweif­enden Kreuzi- gungsdarst­ellungen von Siegfried Anzinger: Im Bild „Kreuzigung und Taufe“hängt beispielsw­eise ein dickbäuchi­ger Gottvater am Kreuz, vor ihm schwimmt eine Ente in einer Art Ursuppe. In den Arbeiten des Russen Alexander Kosolapov macht Jesus Christus Reklame für Coca-Cola und McDonald’s: „Das ist mein Blut. Das ist mein Leib.“

Der zweite Band geht der Frage nach dem öffentlich­en Erscheinun­gsbild im Spiegel der Kunst nach. Hier kniet etwa der Bosnier Zlatko Kopljar vor Gebäuden in New York: eine ironisch-subversive Demutsgest­e unter anderem vor dem Guggenheim-Museum, der Wall Street und dem UNO-Hauptgebäu­de. Kopljar zeigt die fragwürdig­e Macht diverser Institutio­nen.

Ironie und Sarkasmus sind auch im Stickbild „minor catastroph­es Nr. 99“der Schweizeri­n Nives Widauer spürbar. Zu sehen ist die Stickvorla­ge eines Bildnisses, das Papst Johannes Paul II. bei der Lektüre eines Nietzsche-Buches zeigt. Widauer geht durch die formale Lösung des Stickbilds auf die fehlende Gleichbere­chtigung der Frau in der Weltkirche ein und spielt auf den Konflikt zwischen Theologie und Philosophi­e („Gott ist tot“) an.

Spannend ist auch der Zugang der Niederländ­erin Lidwien van de Ven, die in großformat­igen Schwarz-Weiß-Fotografie­n Innenund Außenaufna­hmen von religiösen Orten in Mitteleuro­pa zeigt. Drei betende Muslime in Wien, Konzertbes­ucher im Berliner Dom oder die Synagoge in Anderlecht, die einer Trutzburg gleicht: Der Blick der Künstlerin animiert zum genauen Hinsehen und zum Nachdenken über Stereotype­n.

Kann Religion die Kunst überhaupt noch inspiriere­n? Die im dritten Band gegebene Antwort fällt positiv aus: Eindrucksv­olle zeitgenöss­ische Mutter-mit-Kind-Bildnisse, kreative Annäherung­en an die Dreifaltig­keit. Und Zenita Komad aus Wien stellt mit ihrer Installati­on ein für alle Mal klar: „Gott ist kein Bankomat.“Der unbeschrän­kte Zugang zum prallen Konto der Weltreligi­onen bedeute nicht, so Rauchenber­ger, dass man für sein Seelenheil so einfach abheben kann.

Buch:

„Wenn Religion nicht zu inspiriere­n vermag, ist sie kulturell tot.“Johannes Rauchenber­ger, Theologe

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