Hat jetzt ein Museum
Ein Buch über Religion und zeitgenössische Kunst zeigt, warum Gott kein Bankomat ist.
Auf der Wiese liegen und mit der Seele baumeln. Die Sonne, die Ruhe und die Natur genießen, sich als Teil der Schöpfung fühlen. Doch in der idyllischen Berglandschaft passiert – unbemerkt von der Gruppe der rastenden Wanderer – Eigenartiges: Eine nicht näher definierte Figur in einem weißen Kleid schwebt in unmittelbarer Nähe und scheint auf die Sitzenden und Liegenden zu blicken. Und: Eine riesige Magnolienblüte segelt unter den Füßen der geheimnisvollen Figur mit den verschränkten Armen, die ein Hochzeitskleid, eine Papstsoutane oder ein antiquiertes Jungfrauenkleid tragen könnte. Zeigt die Szenerie eine Himmelfahrt?
Die für einen Leuchtkasten entworfene Arbeit „Na Ziemi (Pilgrimage)“der polnischen Künstlerin Marta Deskur vereint das Sichtbare und das Imaginäre, christliche Ikonografie und Alltag in ihrer Heimat Polen. Die in Paris und Krakau lebende Künstlerin ist eine typische Vertreterin einer neuen Generation, die sich für zeitgenössische Bilder der Religion interessiert, die in ihren Arbeiten Menschen, ihre sozia- len Rollen, ihre Beziehungen zur Modernität, zur Identität und zur Spiritualität thematisiert. Gesellschaftspolitisches und feministisches Engagement können dabei auch sichtbar werden.
Der 46-jährige Grazer Theologe und Kunsthistoriker Johannes Rauchenberger hat in seinem Buchprojekt „Gott hat kein Museum“Dutzende Positionen von nationalen und internationalen Künstlern zusammengetragen, die sich gegenwärtig mit Religion auseinandersetzen. Er baut in drei stattlichen Bänden ein imaginäres Museum, das in der überwiegenden Mehrzahl von Arbeiten gespeist ist, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten im Grazer Kulturzentrum bei den Minoriten zu sehen waren. „Verhandelt werden etwa Themen wie Fundamentalismus und Gewalt, auch die Visionen des Zusammenlebens, die Religionen bieten“, sagt Rauchenberger.
Die umfangreiche Dokumentation über Religion in der Kunst der Gegenwart präsentiert zum Auftakt beispielsweise Erörterungen zur Figur Jesu: „Zwischen Kitsch und Blasphemie existieren unerwartete Neuansätze in der Bearbeitung von scheinbaren Klischees, neue Sichtweisen zu Kreuzen und dem Blick auf das Antlitz.“Das deutsche Fotokünstlerpaar Anna und Bernhard Johannes Blume etwa zeigt in seinen mit dem Computer gestalteten Kreuzwegbildern einen angstvollen, ja verzweifelt blickenden Jesus, der sein Kreuz trägt. Keine Spur von Heroik mehr. Etwas anderes, näm- lich ein Hausdach, trägt der albanische Künstler Adrian Paci in seiner fotografisch dokumentierten Performance „Home to go“. Der bis auf die Unterhose nackte Schmerzensmann thematisiert in seinem Pendeln zwischen Mühsal, Bedrängnis und Erleichterung auch seine eigene Geschichte als Emigrant.
Realistische Christusbilder von Hubert Schmalix, der sich für die Banalität religiöser Gebrauchskunst interessiert, sind ebenso ungewöhnlich wie die in das Feld der Karikatur ausschweifenden Kreuzi- gungsdarstellungen von Siegfried Anzinger: Im Bild „Kreuzigung und Taufe“hängt beispielsweise ein dickbäuchiger Gottvater am Kreuz, vor ihm schwimmt eine Ente in einer Art Ursuppe. In den Arbeiten des Russen Alexander Kosolapov macht Jesus Christus Reklame für Coca-Cola und McDonald’s: „Das ist mein Blut. Das ist mein Leib.“
Der zweite Band geht der Frage nach dem öffentlichen Erscheinungsbild im Spiegel der Kunst nach. Hier kniet etwa der Bosnier Zlatko Kopljar vor Gebäuden in New York: eine ironisch-subversive Demutsgeste unter anderem vor dem Guggenheim-Museum, der Wall Street und dem UNO-Hauptgebäude. Kopljar zeigt die fragwürdige Macht diverser Institutionen.
Ironie und Sarkasmus sind auch im Stickbild „minor catastrophes Nr. 99“der Schweizerin Nives Widauer spürbar. Zu sehen ist die Stickvorlage eines Bildnisses, das Papst Johannes Paul II. bei der Lektüre eines Nietzsche-Buches zeigt. Widauer geht durch die formale Lösung des Stickbilds auf die fehlende Gleichberechtigung der Frau in der Weltkirche ein und spielt auf den Konflikt zwischen Theologie und Philosophie („Gott ist tot“) an.
Spannend ist auch der Zugang der Niederländerin Lidwien van de Ven, die in großformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien Innenund Außenaufnahmen von religiösen Orten in Mitteleuropa zeigt. Drei betende Muslime in Wien, Konzertbesucher im Berliner Dom oder die Synagoge in Anderlecht, die einer Trutzburg gleicht: Der Blick der Künstlerin animiert zum genauen Hinsehen und zum Nachdenken über Stereotypen.
Kann Religion die Kunst überhaupt noch inspirieren? Die im dritten Band gegebene Antwort fällt positiv aus: Eindrucksvolle zeitgenössische Mutter-mit-Kind-Bildnisse, kreative Annäherungen an die Dreifaltigkeit. Und Zenita Komad aus Wien stellt mit ihrer Installation ein für alle Mal klar: „Gott ist kein Bankomat.“Der unbeschränkte Zugang zum prallen Konto der Weltreligionen bedeute nicht, so Rauchenberger, dass man für sein Seelenheil so einfach abheben kann.
Buch:
„Wenn Religion nicht zu inspirieren vermag, ist sie kulturell tot.“Johannes Rauchenberger, Theologe