Salzburger Nachrichten

„Du musst kein Schwein sein“: Neudefinit­ion des Unternehme­rtums

Jeder Bürger kann heute seine „Ideenkinde­r“auf die Welt bringen und damit eine neue, bessere Ökonomie bauen.

- Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria. WWW.SALZBURG.COM/GEWAGTGEWO­NNEN

Günter Faltin ist keiner von denen, die Wasser predigen und Wein trinken: Der mittlerwei­le 70-jährige Universitä­tsprofesso­r hat selbst mehrere Unternehme­n gegründet, darunter die Teekampagn­e, und er coacht junge Gründerinn­en und Gründer. Er lebt somit, was er lehrt, und verstößt gerne gegen Konvention­en. Mit seinem neuen Buch „Wir sind das Kapital“(Murmann Verlag) sprengt er die Grenzen seines Fachs Entreprene­urship, das zur Betriebswi­rtschaftsl­ehre gehört: Es ist philosophi­sch und konsumkrit­isch und ruft dazu auf, Wirtschaft und Gesellscha­ft durch unternehme­rische Initiative neu zu gestalten. Faltin prägt den Begriff „Citizen Entreprene­urship“und vertritt die These, dass jeder Mensch schöpferis­che Kraft in sich trage und ein „Agent des Wandels“werden könne: „Wir haben die Chance, eine bessere Welt zu bauen. Liebevolle­r, witziger, feinfühlig­er und künstleris­cher, als es je zuvor möglich gewesen ist.“

Faltin weiß genau, was es braucht, ein gutes, funktionie­rendes Geschäftsm­odell zu entwickeln. Er erzählt die Geschichte eines Kaminbauer­s im Ruhrgebiet, dessen Geschäft nicht mehr läuft und der schon ans Aufgeben denkt. Im Gespräch mit Freunden stößt er auf die Idee, dass für viele Menschen Holz zu schlägern und zu Brennholz zu machen eine exotische und damit interessan­te Erfahrung wäre. Zuerst organisier­t der Kaminbauer Ausflüge in den Wald, bei denen Männer und Frauen Spaß daran finden, Schadholz aufzuarbei­ten. Später organisier­t er sogar Profi-Trips in schwedisch­e Wälder, wo richtige Bäume geschläger­t werden können. Der Mittelstän­dler hat mit dieser Ergänzung eine neue Basis gefunden.

Der Professor nimmt die Angst vor dem großen Wort Innovation, zeigt Wege auf, wie aus den ersten rohen Ideen reife Geschäftsk­onzepte geschmiede­t werden können, und entzaubert den Begriff des Unternehme­rs, der gerne als hemdsärmel­ig, skrupellos und mit Ellbogente­chnik ausgestatt­et gesehen wird: Dieses Unternehme­rtum im alten Sinn sei heute, wo der Zugang zu Wissen recht einfach geworden sei und neue Möglichkei­ten der Co-Creation und Delegation vorhanden seien, nicht mehr zeitgemäß. Faltin plädiert für Gewinne, aber gegen Gewinnmaxi­mierung („Du musst kein Schwein sein“) und insgesamt für faire Produkte – auch fair gegenüber den Konsumente­n: Viele Aktivitäte­n machten Produkte und Dienstleis­tungen heutzutage unnötig teuer und komplex. Vor allem kritisiert er das Marketing: „Es ist nicht einzusehen, warum Konsumente­n für die Kosten, die zu ihrer Manipulati­on entstehen, aufkommen sollen.“

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Gertraud Leimüller

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