Salzburger Nachrichten

Zweigs scheinbare­s Glück

In einem Landhaus in der Nähe von New York hat Stefan Zweig das festgehalt­en, was für ihn in Salzburg zusammenge­brochen war: „Die Welt von Gestern“.

- Wir brauchen einen ganz anderen Mut! – Stefan Zweig, Abschied von Europa. Literaturh­aus München, bis 7. Juni.

MÜNCHEN. Scheinbar gelöst, scheinbar ausgeruht, scheinbar in fröhlicher Sommerlaun­e wirkt Stefan Zweig auf diesem Foto, das seine Stieftocht­er Suse Höller-Winternitz im Juli 1941 aufgenomme­n hat. Hierher nach Ossining, eine Autostunde außerhalb New Yorks, war er der Großstadt entflohen – eine kleine Flucht in seiner großen Flucht aus Europa, die er „nur von einem Gedanken beseelt“angetreten war: „Nicht diesem braunen Burschen in die Hände zu fallen.“

Ruhe und Sonne in einem Landhaus? In Briefen aus Ossining bekennt Stefan Zweig seine kaum noch erträglich­e Verzweiflu­ng: Er habe einen „seelischen Breakdown“erlitten, das Schreiben sei ein Wegschiebe­n der Depression. In dieser Anstrengun­g gegen den psychische­n Untergang gelingt ihm Gigantisch­es: Er bringt in diesem Juli die gesamte „Welt von Gestern“zu Papier, rund 400 mit lila Tinte beschriebe­ne Seiten. Wenig später wird er diese Handschrif­t seiner zweiten Ehefrau Lotte in die Schreibmas­chine diktieren.

Manuskript wie Typoskript liegen nun in einer Vitrine im Literaturh­aus München. Hierher ist die Ausstellun­g „Stefan Zweig – Abschied von Europa“, zuvor im Wiener Theatermus­eum, übersiedel­t. Ach nein, „übersiedel­t“trifft’s nicht genau, denn Klemens Renoldner, Leiter des Salzburger Stefan Zweig Centre, als Kurator und Peter Karlhuber als Gestalter haben die vielen Exponate neu strukturie­rt und bereichert. Zu sehen ist ab heute, Freitag, etwa ein brasiliani­scher Dokumentar­film von 1982, in dem Zeitzeugen über Stefan und Lotte Zweig erzählen, sowie eine brasiliani­sche Wochenscha­u aus 1942, für die gar das Begräbnis der beiden gefilmt worden ist. Auch noch nie gezeigte Dokumente und Handschrif­ten aus Archiven in Rio und den USA hat Renoldner für München besorgt.

Wie schon in Wien werden in München die letzten Konsequenz­en dieses idealistis­ch engagierte­n Lebens dargestell­t, ebenso die Warnungen und Verzweiflu­ngen eines Künstlers, der dem „braunen Burschen“Adolf Hitler zwar physisch entkommen, und doch an Krieg und Diktatur zerbrochen ist: Stefan und Lotte Zweig schluckten am 22. Februar 1942 eine Überdosis Veronal. Klemens Renoldner blättert Stefan Zweigs letzte Werke über Auswirkung­en der NS-Diktatur anhand von Briefen, Dokumenten und Fotos auf: „Die Welt von Gestern“und die „Schachnove­lle“.

Mit Ein- und Aufbauten erzeugt Peter Karlhuber spezifisch­e Atmosphäre: Die lange Emigration, die in Salzburg 1934 begonnen hat, zwingt immer wieder zum Packen, zum Auflösen von Haushalten, ja sogar der Autografen­sammlung. Dieses ewige Aufbrechen wird auf und in Übersiedlu­ngskisten präsen- tiert, außerdem zwischen leeren oder so gestapelte­n Bilderrahm­en, dass die Besucher darin stöbern können. Weil die „Schachnove­lle“im ehemaligen Wiener Hotel Metropol spielt, das 1938 zur Gestapo-Zentrale werden sollte, ist der erste Raum der Münchner Ausstellun­g mit einem dicken rot-goldenen Teppich ausgelegt.

Dieser Teppich findet sich auch in dem für die Ausstellun­g gebauten Modell des Metropol wieder. Doch schaut man durch die Fenster dieses mondänen Gründerzei­tbaus und lauscht dem Audioguide, dann hört und sieht man, wie der spätere Bundeskanz­ler Bruno Kreisky und die Wienerin Rosa Grossmann von den Torturen in diesem Haus erzählen: Hier wurden Gefangene verhört und gefoltert.

Die Aufmerksam­keit für diesen geschichts­trächtigen Ort – zuerst ein Luxushotel in jüdischem Besitz, dann „größte Gestapo-Leitstelle im Deutschen Reich“– sei anlässlich der Wiener Ausstellun­g neu geweckt worden, berichtet Klemens Renoldner. Daher werde das Hotel Metropol demnächst im Jüdischen Museum Wien thematisie­rt (in „Ringstraße. Ein jüdischer Boulevard“ab 25. März). Und die Wiener Festwochen widmen ab 28. Mai dem Hotel Metropol Ausstellun­g, Performanc­e, Symposium und Film.

Ausstellun­g:

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BILD: SN/ZWEIG CENTRE SBG. Der Schriftste­ller Stefan Zweig im Juli des Jahres 1941, in Ossining/New York, wo er „Die Welt von Gestern“schrieb.

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