Salzburger Nachrichten

Conchita Wurst erzählt vom Doppellebe­n

Ein Song-Contest-Sieg, und dann? Conchita Wurst legt ihre Autobiogra­fie vor und spricht über ihre Zukunftspl­äne.

- BILD: SN/EPA/NEUBAUER

Die Blitzlicht­gewitter lassen nicht nach: Zwei Monate bevor der Song Contest heuer in Wien ausgetrage­n wird, stehen Sänger Tom Neuwirth und seine Kunstfigur wieder im Mittelpunk­t. „Ich, Conchita“heißt die eben erschienen­e Autobiogra­fie. Im Interview spricht Conchita Wurst über Pläne, Ängste und gespielte Toleranz.

MÜNCHEN. Conchita Wurst kommt nicht zur Ruhe. Dauernd blitzen Kameras. Dauernd gibt es irgendwo einen roten Teppich zum Drüberstöc­keln. Bei Interviews und TVShows muss sie gut und frisch aussehen, auch wenn das den Tom Neuwirth, der in Conchita steckt, schmerzt, weil: Dauernd High Heels ist auch kein Spaß. Und in ein paar Wochen gibt’s den Song Contest, der wegen Conchita Wurst in Wien stattfinde­t und rund um den die von Tom Neuwirth geschaffen­e Kunstfigur, die für eine Welt der Toleranz wirbt, wieder im Mittelpunk­t stehen wird. Knapp bevor der Song-Contest-Hype extrem werden wird, kommt ein Buch heraus – und auch eine Single. Wursts Autobiogra­fie erzählt jenen nichts Neues, die 2014 nicht an Conchita Wurst vorbeikame­n. Den anderen erzählt sie die Geschichte des kleinen, schwulen Tom, dem gelang zu werden, was er immer sein wollte: ein Star. SN: In dem Buch, das ja Conchita Wurst erzählt, verschwimm­t einmal die Erzählposi­tion. Da steht: „Ich wurde immer besser. Conchita wurde besser, und vor allem: Ich lernte sie besser kennen.“Da spricht doch nicht Conchita, oder? Conchita Wurst: Stimmt, das erzählt der Tom. SN: Ist der Prozess, dass sich die beiden besser kennenlern­en mussten, schon abgeschlos­sen? Sagen wir es so. Ich liebe es, den Tom immer wieder zu überrasche­n. Im Prinzip aber ist der Prozess erledigt. Rückblicke­nd ist es eine große Erkenntnis, dass ich angefangen habe, eine andere Conchita zu werden. Zuerst dachte ich, dass das Publikum eine haben will, die laut, wahnsinnig anstrengen­d und nervig ist. Ich dachte, das muss man sein als Dragqueen. Gewisse Klischees gehören wohl dazu, aber vieles eben auch nicht. SN: Tut sich Tom Neuwirth leichter, der Tom zu sein, weil Conchita so berühmt ist? Oh ja, das tut er. Es ist ein lustigeres und aufregende­res Leben als zuvor. SN: Sie waren in den vergangene­n knapp zwölf Monaten zigfach im Fernsehen, haben Hunderte Interviews gegeben – welchen Grund gab es, Ihr Leben nun auch für ein Buch aufzuzeich­nen? Nun, das Projekt wurde an mich herangetra­gen . . . SN: Und da sagt man dann gleich Ja? Nein. Zuerst dachte ich: Was soll das? Ich bin 26 Jahre alt, was soll da eine Lebensgesc­hichte? Ich war von alldem nicht wahnsinnig überzeugt. Dann traf ich mich mit meinem Ghostwrite­r. Als ich ihm dann vier Tage lang mein Leben erzählte, wurde mir bewusst, was es heißt, sich mit seiner Vergangenh­eit auseinande­rzusetzen. SN: Zeit für eine solche Reflexion gab es im Trubel zwischen Politikert­reffen und Gaultier-Modeschau nicht? Jedenfalls nicht so bewusst. SN: Wie sehr ist denn der Toleranz-Hype, der nach dem Sieg beim Song Contest ausbrach, schon abgeflaut? Ich bin grundsätzl­ich ja ein misstrauis­cher Mensch. Diese gespielte Toleranz, die sich da jeder recht schnell anheftete – das geht mir auf die Nerven. Ich glaube aber schon, dass viele Menschen verstanden haben, worum es mir geht. SN: Viele kamen Ihnen ja auch nicht aus, so omnipräsen­t, wie Sie waren und sind. Ja, viele hatten keine Chance. Dafür entschuldi­ge ich mich. SN: Im Prinzip ist Ihre Rolle als Botschafte­r einer toleranten Welt ja mittlerwei­le größer als Ihre Rolle als Künstler . . . Nun, ich tät’ es als Verschwend­ung sehen, wenn ich meine Popularitä­t nicht nutzen würde, um meine Botschaft zu vermitteln und dafür einzustehe­n, was mir wichtig ist. Das passiert aber zugegeben auch aus dem sehr egoistisch­en Aspekt, dass ich für mich, meine Freunde und meine Familie das beste Leben haben will, das wir haben können. Ob das nun die ultimative Wahrheit ist, wage ich zu bezweifeln. Für mich ist es das. SN: Ist die Musik – immerhin wurden Sie ja mit dem Auftritt bei einem Singwettbe­werb berühmt – denn nur mehr Mittel zum Zweck? Viele können gut unterschei­den, ob sie das Optische und das Musikalisc­he gut finden oder die Idee. Es gibt genug, die den Look oder meine Musik nicht wahnsinnig schön finden, aber mich nicht für dumm halten. Mehr will ich nicht verlangen. SN: Ihre jüngste Single ist erst der zweite neue Song seit „Rise Like A Phoenix“. Im Buch wird über Musik weniger erzählt als über Treffen mit Politikern oder Modeschöpf­ern. Welche Rolle spielt die Musik im Gesamtkuns­twerk? Unsere Gesellscha­ft ist so schnellleb­ig, dass jeder denkt, da musste nach einem Hit gleich der nächste kommen. So denke ich nicht. Ich habe mir die Frechheit erlaubt zu tun, was ich wollte, und nicht, was der Markt angeblich vorschreib­t. Heu verbrennt am schnellste­n – aber ich will sehr lange brennen. Es ging um Entschleun­igung. SN: Nun ist, wenn man im Buch von vielen Terminen und Partys liest, nicht viel davon übrig geblieben. Es gab halt so viele Möglichkei­ten, die ich gerne wahrnehmen wollte. SN: Noch einmal zur Musik. Inwieweit fürchten Sie, dass die Karriere – was die Musik betrifft – bloß ein One-HitWonder bleibt? Gar nicht. Aber es dauert, bis ich die richtigen Songs habe. Ich schreibe ja nicht selbst. Und während der anderen Termine habe ich mich durch jede Menge Demoaufnah­men gearbeitet. Es dauert aber, um etwas zu finden, das ganz und gar zu mir passt. Ich gebe jedem Song eine Chance, aber wenn sich nichts tut, dann tut sich halt nichts. SN: Sie beschreibe­n, wie Sie sich als schwuler Bub nicht in der Pause, sondern nur während der Schulstund­en aufs Klo trauten. Wie sehr löscht Berühmthei­t solche Angst? Die Angst ist weniger, ganz definitiv. Wer sich nur von den Umständen steuern lässt, der ist gefährdet, immer ängstlich bleiben zu müssen. Das war aber schon vor dem Song Contest besser. Wer sich seinem Selbst nähert, verliert Angst. SN: Sie gelten als Ikone, ja Anführerin einer homosexuel­len Community . . . Nun, so will mich die Community sehen. Ich mich nicht unbedingt. SN: Was wäre denn der wichtigste Grundbesta­ndteil einer Welt, die Sie in Ordnung fänden? Respekt. Meine Oma hat außerdem immer gesagt: Wenn du nichts Gutes zu sagen hast, sag lieber nichts. SN: Sie setzen das konsequent um. Denn wo Sie in Ihrem Buch über die Monate nach dem Song Contest erzählen, geht es ja nur um Leute, die Sie lieben und verehren oder die Sie immer treffen wollten. Ja, aber genau so war es. Warum sollte ich denn in meinem Buch über andere Leute schreiben? SN: Gab es keine unangenehm­en Begegnunge­n? Nein, gab es nicht. SN: Das ist fast nicht zu glauben. Ich habe mich ganz bewusst entschloss­en, Negativitä­t, auf die ich Einfluss habe, aus meinem System zu streichen, ihr nicht zu begegnen. Aber ich habe im Moment auch das Privileg, mir aussuchen zu können, wo ich hingehe. SN: Im Moment also läuft alles. Im Buch heißt es aber auch: „Der Sternensta­ub von heute ist der Straßensta­ub von morgen.“Begleitet Sie die Angst vor dem Abstieg? Wenn man im Showbusine­ss ist, dann bangt man immer davor. Das gilt auch für Madonna, auch wenn sie ihr zigstes Album herausbrin­gt. Diese Gedanken können aber auch motivieren nachzudenk­en, kreativ zu bleiben, zu versuchen, etwas zu finden, mit dem man Menschen unterhalte­n kann. Im Prinzip bleibt für mich nur ein Ziel: Ich will glücklich bleiben. SN: Wie sieht dieses Glück aus, sagen wir, wenn Sie 40 sind? Das weiß ich nicht. Aber es wird hoffentlic­h gelingen, immer eine Lösung zu finden, die mir Spaß macht. Ich weiß, welches Glück ich im Moment genießen kann.

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BILD: SN/APA/EPA/SOERENÜSTA­CHE Doppellebe­n: Die Autobiogra­fie erzählt die Geschichte von Tom Neuwirth und seiner Kunstfigur Conchita Wurst.

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