Haftbefehl für Präsidentin lag im Müll
Das Dokument wurde im Papierkorb des unter mysteriösen Umständen gestorbenen Staatsanwalts gefunden.
Der unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommene argentinische Staatsanwalt Alberto Nisman wollte offenbar einen Haftbefehl gegen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner erwirken. Die mit den Ermittlungen beauftragte Staatsanwältin Viviana Fein sagte am Mittwoch, in der Wohnung des Toten sei im Müll ein 26-seitiger entsprechender Entwurf gefunden worden. Das Dokument ist auf Juni 2014 datiert. Nismans Leiche war am 19. Jänner in seiner Wohnung in Buenos Aires entdeckt worden, wenige Stunden vor einer geplanten brisanten Anhörung im Parlament.
MEXIKO-STADT, BUENOS AIRES. In einer neuen mysteriösen Wendung im Fall des toten argentinischen Sonderermittlers Alberto Nisman hat die Staatsanwaltschaft am Dienstag bestätigt, dass dieser vergangenes Jahr einen Haftbefehl gegen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner erwog. Ein entsprechender 26 Seiten starker Entwurf sei im Papierkorb in der Wohnung des Toten gefunden worden, sagte Staatsanwältin Viviana Fein. Allerdings war das Dokument auf Juni 2014 ausgestellt gewesen. Im Laufe der weiteren Ermittlungen hat Nisman dann aber offenbar darauf verzichtet, gegen die Präsidentin vorzugehen und den Haftbefehl bei Gericht zu beantragen. Der Entwurf sah auch die Verhaftung von Außenminister Héctor Timerman vor.
Über den Entwurf für einen Haftbefehl hatte am Sonntag bereits die Zeitung „Clarin“berichtet. Staatsanwältin Fein und die Regierung hatten die Existenz des Dokuments aber zunächst bestritten und „Clarin“beschuldigt, eine Medienkampagne gegen die Regierung zu starten. Kabinettschef Jorge Capitanich zerriss am Montag in der täglichen Pressekonferenz vor laufenden Kameras demonstrativ die beiden Seiten der Zeitung, auf denen von dem Haftbefehl berichtet wurde. Doch nun ruderte Staatsanwältin Fein zurück und sprach von einem „Fehler bei der Interpretation“des aufgefundenen Dokuments.
Der „Caso Nisman“, der Fall des mysteriös gestorbenen Staatsanwalts ist ein Spionagethriller, der das Zeug zu einer Staatskrise in Argentinien hat. Bisher weiß man wenig mehr, als dass der Staatsanwalt am 18. Jänner mit einer Kugel im Kopf neben seiner Badewanne gefunden wurde und dass er vorgab, brisantes Material gegen Präsiden- tin Kirchner in Händen zu halten. Der Kern seiner Anschuldigung: Die argentinische Regierung habe mit der Regierung in Teheran konspiriert, um die mutmaßlichen iranischen Urheber des Attentats auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA in Buenos Aires vor knapp 21 Jahren zu schonen. Bei dem Autobombenanschlag im Jahr 1994 kamen 85 Menschen ums Leben, 300 wurden verletzt. Hintergrund soll sein, dass Kirchner für das klamme und ressourcenknappe Argentinien einen lukrativen Öldeal mit Teheran abschließen wollte. Da sollte keine Anklage gegen hohe Beamte der iranischen Regierung im Wege stehen.
Die Präsidentin weist alle Vorwürfe von sich und glaubt ihrerseits an ein Komplott zu ihrem Nachteil, geschmiedet von einem entthronten Geheimdienstfürsten, der sich für seinen Rausschmiss an ihr rächen wollte und dafür den toten Staatsanwalt missbrauchte, indem er ihm manipuliertes Material unterschob. Diese Version hält mittlerweile auch der US-Geheimdienst CIA zumindest für möglich.
Bisher deuten die Ermittlungen aber darauf hin, dass der Tod Nismans auch Selbstmord gewesen sein könnte. Erst vor wenigen Tagen erhärteten neue Ergebnisse diese Theorie. Am Tatort sei nur die DNA Nismans gefunden worden, sagte Staatsanwältin Fein. „An T-Shirt, Shorts, Pistole, Magazin und Patronenhülsen wurde nur ein genetisches Profil gefunden, welches unzweifelhaft mit der DNA des Toten übereinstimmt“, sagte Fein.
Freunde und Familie des 51-Jährigen wollen nicht an einen Suizid glauben: Weder galt Nisman als depressiv, noch hinterließ er einen Abschiedsbrief, dafür aber eine Liste mit Einkäufen für die Hausangestellte. Verwirrend ist auch, dass Nisman die Tatwaffe erst am Tag vor seinem Tod von einem Mitarbeiter erbeten hatte, wo er doch selbst über zwei Pistolen verfügte.
Unklar ist noch, was aus den jüngsten Enthüllungen nun für die Ermittlungen im Fall Nisman folgt. In jedem Fall gerät nun Präsidentin Kirchner wieder in den Fokus, wäre doch ein Haftbefehl gegen ein amtierendes, demokratisch legitimiertes Staatsoberhaupt ohne Beispiel gewesen.