Auch die Angst steckt an
Gerade erst begannen sich die von Ebola betroffenen Länder von den Bürgerkriegen zu erholen. Gerade erst rückte Afrika in den Fokus von Investoren und Touristen. Nun droht ein neues Stigma.
Es scheint alles nichts zu helfen. Mehr als 120 Menschen, so wurde bekannt, sind allein am vergangenen Samstag, also innerhalb von nur 24 Stunden, in Sierra Leone dem heimtückischen Ebola-Virus zum Opfer gefallen – mehr als jemals zuvor in solch kurzer Zeit. Beobachter sehen einen weiteren Beleg dafür, dass die Epidemie außer Kontrolle geraten ist. Dabei hatte der westafrikanische Staat, der zusammen mit Liberia und Guinea am härtesten von Ebola betroffen ist, drastisch auf die immer schnellere Ausbreitung des Virus reagiert:
Nachdem die Regierung in Freetown bereits im August zwei Distrikte militärisch abgeriegelt hatte, wurden Ende September drei weitere Landesteile mit mehr als einer Million Menschen unter Quarantäne gestellt. Damit sind inzwischen mehr als ein Drittel der rund sechs Millionen Menschen in Sierra Leone von der Außenwelt isoliert.
Insgesamt sind in der Ebola-Region im äußersten Westen von Afrika seit dem Ausbruch der Krankheit im März fast 4000 Menschen gestorben, etwa ein Fünftel davon in Sierra Leone. Darunter befinden sich mehr als 200 Ärzte und Pfleger aus afrikanischen oder anderen Ländern. Die Dunkelziffer ist Experten zufolge sehr hoch. Am stärksten leidet Liberia, wo bislang mehr als 2500 Menschen an Ebola gestorben sind. Die Zahl der Erkrankten steigt inzwischen so rasant, dass allein in den vergangenen sechs Wochen mehr Menschen infiziert worden sind als in den gesamten sechs Monaten zuvor.
Trotz anfänglicher Erfolgsmeldungen hat sich die Lage gerade in Sierra Leone nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) angesichts der vielen neu gemeldeten Fälle in der Hauptstadt Freetown weiter verschlechtert.
In sechsWochen mehr Infizierte als in den sechsMonaten davor
Es mangelt an fast allem, vor allem aber an Betten und Fachpersonal. Die Staatschefs der drei von Ebola durchseuchten Länder haben sich deshalb erneut mit einem emotionalen Hilfsappell an die Welt gewendet. Ellen Johnson-Sirleaf, die Präsidentin Liberias, nannte die Epidemie dabei die vermutlich „größte Herausforderung aller Zeiten“für ihr Land. Bestätigt wird dies von einem düster gezeichneten Szenario des amerikanischen Gesundheitsministeriums vergangene Woche. Demnach könnte die Zahl der Erkrankungen allein in Liberia und Sierra Leone bis zum Jahresende auf mehrere Hunderttausend Menschen steigen,
Pfleger und Ärzte kämpfen mit hohem eigenen Risiko gegen Ebola an. weil dort neben den ländlichen auch die städtischen Gebiete betroffen sind. Für die zuletzt leicht erholten Volkswirtschaften der früheren Bürgerkriegsregion ist das Virus ein Desaster.
Bereits jetzt hat die Epidemie das Wachstum stark gebremst: In Sierra Leone, wo die Regierung in diesem Jahr Zuwachsraten von bis zu 14 Prozent erwartet hatte, dürften diese nach Angaben der Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB) nun einen Bruchteil davon betragen. Gemeinsam erwirtschaften Sierra Leone, Guinea und Liberia nur ein Sozialprodukt von knapp 13 Milliarden Dollar – weniger als der Bürgerkriegsstaat Afghanistan. Entsprechend gering ist ihre ökonomische Bedeutung für die Weltwirtschaft.
Sierra Leone hat in den vergangenen Jahren mit einigem Erfolg versucht, eine kleine Fremdenverkehrsindustrie aufzubauen: 2013 besuchten immerhin fast 60.000 Ausländer das einstige Bürgerkriegsland. Jetzt dürften die Touristen auf lange Zeit fernbleiben. Auch der Bergbau ist betroffen. In dem nun unter Quarantäne gestellten Distrikt Port Loko sind zwei der größten Eisenerzproduzenten des Landes aktiv. Es gilt als sicher, dass die Abschottung des Fördergebiets ihre Tätigkeit stark beeinträchtigen wird. Selbst chinesische Firmen, die sich jahrelang gut mit der instabilen Lage in Sierra Leone arrangiert hatten, ziehen sich wegen des tödlichen Virus nun hastig zurück.
Verheerend sind auch die Auswirkungen der Epidemie auf die Landwirtschaft, in der mehr als zwei Drittel der Bevölkerung beschäftigt sind. Ausgerechnet die am schlimmsten betroffenen Landstriche im Südosten von Sierra Leone und im Norden Liberias gelten als Kornkammern beider Länder.
Viele Bauern haben ihre Felder vor Beginn der Regenzeit im August oft gar nicht mehr bestellt. Seit der militärischen Absperrung der Seuchenherde ist auch das Anheuern jugendlicher Tagelöhner als Erntehelfer unmöglich geworden. Hilfsorganisationen wie die deutsche Welthungerhilfe rechnen im Frühjahr 2015 mit einer Hungersnot.