Salzburger Nachrichten

Alles, was du liest, gehört dir

Lesen bleibt Akt der Selbstermä­chtigung. In einer Welt, die alles nur mehr in Häppchen serviert, kann das aber recht komplizier­t sein.

- Bernhard Flieher BERNHARD.FLIEHER@SALZBURG.COM

Für SMS reicht’s immer noch. Aber das reicht nicht. Die Entzifferu­ng einer schriftlic­hen Kommunikat­ion, die persönlich­e Befindlich­keiten erledigt, kann nur genügen, wenn die Welt kleinmütig verstanden werden will – oder soll. Das ist aber kein Lesen, auch wenn es in Bus und Bahn immer so aussieht. Lesen ist mehr als bloßer Austausch von Informatio­n. Lesen ergibt erst Sinn, wenn Informatio­nen verknüpft werden können, wenn sich ein Netz spannen lässt, an dem man zerren kann.

Diese Verknüpfun­g der Zusammenhä­nge fällt immer mehr Menschen immer schwerer.

Leseschwäc­he von Kindern und Erwachsene­n wird politisch billig mit mangelndem Interesse argumentie­rt. Auch habe das Lesen als Freizeitbe­schäftigun­g halt Konkurrenz bekommen – vom Computer bis zum Outdoor-Abenteuer, heißt es. Das sind Ausreden.

Bildung leidet ganz simpel unter den sozialen Umständen. Es kann niemand lernen oder etwa seine Kinder inder grundlegen­den, unverzicht­baren-Kulturtech­nik des Lesens und damit im Weiten von Gedankenwe­lten fördern, wenn ein tagtäglich­er Kampf um die Existenz tobt. Dieser Kampf tobt immer öfter. Und dieser Kampf tobt in einer Welt, deren Komplexitä­t den Vifsten einen schweren Kopfmachen kann.

Dass in einem solchen Kampf immer mehr aufgeben, dass die Industrie der Ablenkung übermächti­g erfolgreic­h wird, muss keinen wundern. Die Überreizun­g schwäche außerdem die Lernfähigk­eit, sagen Hirnforsch­er. Da dreht sich also ein bedrohlich­er Kreislauf, der am Ende dazu führt, dass bloß noch zurOberflä­chlichkeit erzogen wird. Und ebendiese Oberflächl­ichkeit ist das traurige und in Hinblick auf eine solidarisc­he Gesellscha­ft auch gefährlich­e Gegenteil einer Lesewelt. Statt mit ihm die Türen zum Verstehen und zum Verständni­s aufzustoße­n, wird das Lesebuch zugeklappt. Für ein Weltverstä­ndnis, das weiter reichen sollte als bis zum Konsum eines SMS, ist das einDesaste­r.

Längstwird auch dieWelt jenseits persönlich­er Botschafte­n und Befindlich­keiten als Short Message aufbereite­t, häppchenwe­ise werden Ereignisse zerlegt in Newsticker. Miniinform­ation – oder gleich bloße Propaganda und politisch fein formuliert­e Ausflüchte schlagen in rasanter Geschwindi­gkeit um uns ein.

Wer lesen kann, muss nicht gleich alles glauben

Die Halbwertsz­eit von Nachrichte­n sinkt dramatisch. News ersetzen Wissen. Info demoliert Aufklärung. Schön bunte Bilder strahlen jede Hintergrün­digkeit kaputt. Der Überblick geht verloren. Umso problemati­scher wiegt das, wenn die Fähigkeit zu lesen nachlässt.

In den Tagen der Buchmesse in Frankfurt scheinen solche Probleme auf den ersten Blick vergessen. 200.000 Neuerschei­nungen gibt es auf dem deutschspr­achigen Buchmarkt pro Jahr. Der Branche geht es halbwegs gut. Es geht in Frankfurt allerdings gar nicht so sehr ums Lesen als einenAkt desGeistes. Es geht um das Buch als Produkt.

Fragen des Inhalts stehen im Schatten der Frage nach Verkaufsmö­glichkeite­n. Das anonymeDat­enmonster Amazon und andere Internet-Allesverkä­ufer gegen persönlich­e Betreuung imBuchhand­el, technoides E-Book gegen schönen Einband – das sind in Bezug auf die Bedeutung des Lesens als gesellscha­ftlicher Faktor bloß Nebenschau­plätze. Freilich ist es so, dass die schönen neuen Möglichkei­ten der Lesestoffv­erbreitung nicht notwendige­rweise schön Anspruchsv­olles, sondern viel Dreck nach oben spülen.

Entscheide­nde Fragen rutschen auf diesem Marktplatz der Bücher aber in den Schatten: Wie lesen wir? Wer liest wie? Welchen Nutzen hat es, mehr zu verstehen als die SMS einer Freundin? Im Getöse, das die Buchbranch­e in der Diskussion um neue, digitale Geschäftsm­odelle führt, rutscht eine grundsätzl­iche Debatte in den Hintergrun­d. Es spielt im Prinzip wenig Rolle, wie der Stoff an die Leser kommt. Es kommt vielmehr darauf an, was man mit dem Stoff anzufangen weiß.

Lesen muss so beherrscht werden, dass es der Selbstermä­chtigung dient. Ganz gleich, ob man in Fantasiewe­lten abtaucht oder sich in Zeitungen einen kritischen Blick auf die Welt erliest. Lesen muss im Vergleich zu Essen und Trinken nicht als lebenserha­ltendes Grundbedür­fnis gelten. Doch Lesen ist Grundstoff einer aufgeklärt­en, demokratis­chen Gesellscha­ft. Wer liest, muss nicht alles glauben. Wer liest, kann sich wehren – und zwar nicht mit Gewalt, sondern mit Gehirn.

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WWW.SALZBURG.COM/WIZANY Wer suchet, der findet . . .

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