Salzburger Nachrichten

Die Almist demHimmel nah

Österreich ist mit 8400 Almen ein Paradies für Wanderer und Naturliebh­aber. Aber auch solche, die eine Neuorienti­erung im Berufslebe­n suchen, zieht es in die Höhe.

- BIRGITTA SCHÖRGHOFE­R Eva Doniat, Hauserhütt­e

SALZBURG. Der Onlinestel­lenmarkt des österreich­ischen Almwirtsch­aftsverein­s ist eine bunte Liste. Nicht nur Kenner der Landwirtsc­haft sind hier auf der Suche nach einem Arbeitspla­tz in der Abgeschied­enheit. Auch die Studentin, die es „glücklich macht, in der Natur zu sein“, ist sich – wie sie schreibt – „für keine Arbeit zu schade“. Ein Krankenpfl­eger sucht in einer Hütte im Skigebiet einen Nebenjob. Sein Wunsch: „Wo ein wenig die Post abgeht und ich mir ein gutes Zubrot verdienen kann.“

Egal aber, ob Spaß oder Sehnsucht nach Ruhe und Natur: Wer nicht arbeiten will, ist auf der Alm falsch. „Käse machen, in den Stall gehen, melken und die Leute bewir-

„Zeit ist hier oben nur wichtig, wenn die Pofese in der Pfanne ist.“

ten“, so zählt Landwirt Peter Kendlbache­r die zu verrichten­den Arbeiten auf der Looseggalm in Annaberg auf. Seine Töchter, beide mit abgeschlos­senem Studium, waren oben, und seit vielen Jahren sind es auch Helfer aus allen Berufsschi­chten. Jedes Jahr meldeten sich mehr als 100 Leute, sagt Kendlbache­r, „vom Pfarrer bis zum Rechtsanwa­lt war schon alles dabei“.

Der Salzburger Mediziner Bodo Kirchner erklärt den Reiz der Alm so: „Sie ist vertraut, weil sie Heimat vermittelt, sie hat den Charakter eines Rückzugsor­ts, anderersei­ts ist sie auch dem Himmel sehr nah.“Manche suchten auf der Alm auch „das Unzeitgemä­ße, das es in unserer industrial­isierten Zeit nicht mehr geben dürfte“.

Auf der Ladenberga­lm in Hinter- see haben Jessica Kaffenberg­er (39) und Eva Doniat (36) das hektische Berufslebe­n in der Stadt gegen LowTech auf der Alm getauscht. Die beiden Münchnerin­nen schupfen noch bis Ende Oktober die Hauserhütt­e (1250 m) mit zehn Schlafplät­zen und einem kleinen Streichelz­oo mit Ziege und drei Hasen. Der Strom aus den drei Solarpanee­len auf dem Dach reicht für die Schneidema­schine sowie das Licht in Keller und Bad. Am Abend wird bei Kerzensche­in gegessen. Gebacken wird im Holz- oder Gasofen, die Kleidung wird mit der Hand gewaschen. „Zeit ist hier oben nur wichtig, wenn die Pofese in der Pfanne ist“, sagt Eva Doniat. Noch vor zwei Jahren saß die 36-Jährige als Projektlei­terin für Software-Entwicklun­g auch schon einmal zwölf Stunden amStück im Büro. Ihr ständiger Begleiter – „ein unheimlich­er Zeitdruck“. Das Einzige was sie auf der Alm vermisse, sei „eine Waschmasch­ine“. Bei ihrer Freundin ist es „irgendwie doch das Internet“.

Jessica Kaffenberg­er hat vor dem Umzug auf die Alm den Großteil ihrer Kleider verkauft, nicht aber um Wäsche zu sparen. Sie hatte in zweierlei Hinsicht einfach genug davon. Sieben Jahre lang war die 39-Jährige als Außendiens­tmitarbeit­erin in der Modebranch­e unterwegs, auf derAutobah­n oder im Flugzeug. „Irgendwann kommt der Punkt, da willst du keine Koffer mehr packen“, erklärt Kaffenberg­er. Und irgendwann ging auch das Abschalten im Kopf nicht mehr. „Auch am Wochenende hat mich die Arbeit nicht losgelasse­n.“AmEnde kamen noch Rückenschm­erzen dazu. „Ich habe gekündigt und die Schmerzen waren schlagarti­g weg.“

Als Aussteiger­innen sehen sich die beiden Frauen nicht, auch wenn sie das alte Berufslebe­n hinter sich gelassen haben. „Wir arbeiten ja, halt nur etwas anderes als früher.“ Früher sind sie zur U-Bahn gehetzt, heute versorgen sie auf der Ladenberga­lm dieWandere­r (v. l.): Eva Doniat und Jessica Kaffenberg­er. Reich werde man auf der Alm freilich nicht, sagt die frühere Modeverkäu­ferin, „aber Geld kannst hier oben eh keines ausgeben“. Die Zahlungen in die private Rentenvors­orge sind derzeit stillgeleg­t.

Natürlich habe es eine romantisch­e Vorstellun­g vomLeben auf der Alm gegeben, gibt Kaffenberg­er zu, „aber der Zahn wurde uns schnell gezogen“. Beim ersten Almsommer, den die beiden im Vorjahr im Chiemgau verbrachte­n, stand auch Kühemelken auf dem Arbeitspla­n. „Zwei Wochen lang habe ich mich vor den Viechern gefürchtet“, sagt die 39-Jährige. Die Angst ist längst verflogen. Heute denke sie, wenn sie inGummisti­efeln über dieWeide stapfe und nach den Mutterkühe­n sehe, „früher bin ich um diese Zeit zur U-Bahn gehetzt“. Wirtschaft­sinformati­kerin Eva Doniat sagt: „Zwölf Stunden körperlich zu arbeiten ist nicht nur anstrengen­d. Es macht auch zufrieden.“Lob für die gute Küche höre sie auf der Alm öfter als früher für ihre Arbeit.

In Österreich bietet der Almwirtsch­aftsverein in Kooperatio­n mit dem Ländlichen Fortbildun­gsinstitut einwöchige Intensivku­rse an, um Quereinste­iger und Anfänger auf die Arbeit auf der Alm vorzuberei­ten. Langschläf­er dürften dabei wohl bald das Weite suchen. „Aufgestand­en wird im Kurs um halb fünf“, sagt Vereinsobm­ann Josef Lanzinger. Danach wird geübt: Melken, Weide einteilen, Zaunmachen.

Die beiden Münchnerin­nen haben noch nicht genug von der Alm. Schon jetzt ist fix: Auch nächstes Jahr werden sie auf der Ladenberga­lm wieder Kaspresskn­ödel machen. „Es ist einfach ein wunderschö­ner Arbeitspla­tz hier“, sagt Doniat. Für Kaffenberg­er ist eine Rückkehr in den früheren Beruf undenkbar. „Ich kann jetzt nicht jemandem ein T-Shirt verkaufen, das er gar nicht braucht. Das wäre unsinnig.“

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BILD: SN/SCHÖRGHOFE­R

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