„Ich mache mir keine Illusionen“
Der neue ÖVP-Chef Mitterlehner verrät, wie er die Partei wieder flottbekommen will, wie er die Regierungsarbeit verbessern will und unter welchen Voraussetzungen es eine Steuersenkung gibt.
Die bisherige Regierungsarbeit war 80 Prozent Streit und 20 Prozent Konsens. Dieses Verhältniss müsse umgedreht werden, fordert der neue Vizekanzler.
Der oberösterreichische LH Pühringer hat es kürzlich als „unerträglich“bezeichnet, dass die ÖVP bei 20Umfrageprozent grundle. Wie wollen Sie diesen Trend umdrehen?
SN: Mitterlehner: Es ist für keine Partei erfreulich, wenn sie sich bei 20 Prozent bewegt, wenngleich Meinungsumfragen nicht gerade den Härtegrad von Diamanten haben. Ich möchte jedenfalls durch die Arbeit in und mit meinem Team bewirken, dass wir auch emotional wieder stärker werden.
SN: Welches Rezept haben Sie? SN: Sie wollen also ein besseres Miteinander inder Regierung? SN: Sie habenBewegung in der Bildungspolitik signalisiert. Was ist hier zuerwarten?
Wir brauchen drei Änderungen. Erstens muss die Regierung zeigen, was sie an Gemeinsamkeiten in Hinsicht auf Krisenkompetenz und Reformkompetenz einbringt. Bisher haben die Regierungsparteien in denMedien zu 80 Prozent gegeneinander und 20 Prozent miteinander agiert. Diese Relation müssen wir umdrehen.
Zweitens müssen wir in der ÖVP stimmig erklären, wie das, was wir tun, mit unserem Wertekatalog zusammenpasst. Die ökosoziale Marktwirtschaft ist hiezu eine wunderbare Leitlinie.
Drittens geht es um Bürgerorientierung. Damit meine ich nicht, dass wir populistisch Geschenke verteilen wollen. Sondern dass wir die Wähler einbinden und unsere Politik besser erklären. Dann werden sich automatisch unsere Umfragewerte verbessern. Absolut. SPÖ und ÖVP haben ein gemeinsames Programm. Dass wir einander ständig über die Medien unsere ideologischen Unterschiede mitteilen, steht nicht im Regierungsprogramm. Wir haben, was die Bildung als Kriterium für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes betrifft, einen Nachteil gegenüber anderen Ländern. Wir haben sehr viel Geld im System, liegen aber bei allen internationalen Tests nicht im vorderen Feld. Daher müssen wir uns mit einer Reform des Schulsystems auseinandersetzen. Wir in der ÖVP haben ja bestimmte Belastungen mit Reizwörtern . . .
SN: Gesamtschule . .
SN: Können Sie das präzisieren? SN: Es wirdalso Änderungen inder Bildungspolitik geben?
SN:
SN: Was wollen Sie stattdessen?
.
Richtig. Mein Zugang ist: Ich habe einige Experten eingeladen, um eine neue Diskussion über Sachnotwendigkeiten und Systemnotwendigkeiten führen.
Die ersten Vorschläge will ich im Parteivorstand Mitte September präsentieren. Ich kann schon, aber ich will nicht. Sonst führen wir wieder eine jener medialen Debatten, die ich vermeiden will. Ich möchte das zuerst in der Partei diskutieren, und zwar relativ rasch. Das kennzeichnet uns doch generell: Nur mit dem Ansatz, dass alles so bleiben muss, wie es ist, werden wir weder dem gesellschaftlichen Wandel gerecht noch den Erwartungshaltungen.
In der Frage der Steuerreform haben sich beideKoalitionsparteien einbetoniert, Stichwort: Vermögenssteuern. Wie wollen Sie die Sache flottkriegen?
Das Thema muss in einem Gesamtzusammenhang diskutiert werden. Wir müssen die Konjunkturentwicklung und die Budgetentwicklung im Auge behalten, auch wenn viele das nicht wahrhaben wollen. Jedenfalls ist es unsinnig, das Thema auf die Diskussion „Vermögenssteuer – ja oder nein“zu reduzieren. Diese Simplifizierung ist mir zutiefst zuwider. Wir wollen eine Steuersenkung, und wir wollen sie ganz intensiv. Aber es müssen die Voraussetzungen dafür erarbeitet werden.
Die Konjunkturdaten sind ja nicht gerade rosig.
SN: „Nicht rosig“ist eine schöne Umschreibung. Ich betrachte es als dramatisch, wenn wir statt 1,7 Prozent einen Prozentpunkt weniger Wachstum haben. Und wenn wir die geopolitischen Krisen nicht bald im Griff haben, Stichwort Russland und Ukraine, wird die Lage noch dramatischer. Wir dürfen uns nicht verhalten wie Leute, die in einem wunderbaren Haus über die Einrichtung des Wohnzimmers diskutieren, während überall das Wasser der Krise hereinfließt.
SN: Sind Sie ein Freund der Sanktionen gegenRussland?
Ich bin kein Freund von Sanktionen, weil sie der Wirtschaft schaden. Aber in der jetzigen Situation können wir nicht Pro und Kontra in wirtschaftlicher Hinsicht abwägen, jetzt stehen andere Werte im Vordergrund, und man muss eine einheitliche Linie haben. Wir können nur trachten, mit Abfederungsmaßnahmen die Auswirkung der Sanktionen für die heimischeWirtschaft abzumildern.
Die ÖVP hat amDonnerstag einenReformprozess gestartet. Was soll amEnde dieses Prozesses stehen?
SN: Zum einen geht es darum, dass ein Parteiprogramm, das 20 Jahre alt ist, bestimmte aktuelle Themen nicht enthält. Beispielsweise Integration, Migration, die EU-Thematik. Auch die Familiensituation stellt sich heute anders dar als vor 20 Jahren.
Zweitens müssen wir uns fragen, ob die Struktur der ÖVP noch optimal ist. Ich möchte keine Teilorganisation oder Landesorganisation abschaffen. Aber wir müssen das Miteinander anders gestalten. Wir müssen uns von einer Interessengemeinschaft zu einer Sinngemeinschaft entwickeln.
Und was die handelnden Personen betrifft: Wir werden nicht immer nur Funktionäre haben, die ihr Leben lang eine Ochsentour-Karriere entwickeln, sondern wir brauchen junge, frische, neue Köpfe mit neuen Gedanken, die in unserer Gesinnungsgemeinschaft zumindest eine Zeitlang mitarbeiten. Die Demokratie hat sich verändert. Früher haben Sie den Bürgern die Dinge erklären müssen. Heute müssen Sie die Bürger beteiligen.
SN: Manche halten jadie Neos bereits für die bessere ÖVP.
Die Frage„Wer ist die bessereÖVP?“ist leicht zu beantworten. „Die bessere ÖVP“ist eine sich erneuernde ÖVP. Wir werden in unserem Re- formprozess Freiheiten und auch Fehler zulassen. Es wird ein schwieriger Prozess. Aber er wird uns eindeutig weiterbringen.
SN: Manche Fragen gelten als Lackmustest für dieWeltanschauung des Befragten. Zum Beispiel: Sind Sie dafür, gleichgeschlechtlichenPaaren die Adoption zu erlauben?
Es gibt eine Arbeitsgruppe, wie wir mit diesem Thema umgehen, und es gibt eine eine gewisseWeiterentwicklung. Die ist noch nicht abgeschlossen. Noch vor einiger Zeit war der Abschluss eingetragener Partnerschaften auf dem Standesamt ein No-go für die ÖVP. Mittlerweile haben sich die Positionen geändert. So werden wir auch andere Positionen weiterentwickeln.
Sie kommen aus dem ÖVP-Wirtschaftsbund und haben mit den Herren Schelling und Mahrer zwei weitereWirtschaftsbündler in Ihr Team geholt. Wie erklären Sie das dem ÖAAB und den Frauen?
SN: Indem ich sage, dass wir unsere Aufstellung nicht bündisch oder landesregional durchführen können. Bei 15 Landes- und Teilorganisationen können Sie nicht die Position des Finanzministers 15 Mal besetzen. Bis zur Vorwoche hatten wir drei Regierungsmitglieder des ÖAAB und nur einen vom Wirtschaftsbund. Da gab es auch keine Diskussion. Ich selbst bin immer noch Mitglied der Jungen ÖVP und habe zum 50. Geburtstag die Mitgliedschaft des Seniorenbundes erhalten. Wenn man will, kann man mich auch dem ÖAAB zuordnen, weil ich ja Angestellter der Wirtschaftskammer war. Ich bin also vollkommen offen.
SN: Nur die Frauenbewegung wird Sie nicht aufnehmen können.
Vielleicht als Ehrenmitglied. Sie merken jedenfalls, dass diese Kategorisierungen nicht der Zugang für eine Partei im 21. Jahrhundert sind.
SN: Sehendas Ihre Parteifreunde indenBünden auch so?
Ichmacht mir keine Illusionen, dass jeder das so sieht wie ich.