Salzburger Nachrichten

Der etwas andere Silvester-Snack

Insekten. Warum ein südfranzös­ischer Junguntern­ehmer auf Grillen und Mehlwürmer setzt und es die Tierchen bereits auf die Speisekart­e eines Gourmettem­pels geschafft haben.

- ANSGAR HAASE

TOULOUSE (SN, dpa). Der Herr über Abermillio­nen von Insekten könnte auch Manager einer Bar sein. Jeans, weißes Hemd, Sakko mit Einstecktu­ch – ein charmanter 31-Jähriger mit verschmitz­tem Lächeln empfängt Besucher in seinem Reich nahe der südfranzös­ischen Stadt Toulouse. In einer unscheinba­ren Halle züchtet er mit einem kleinen Team Grillen und Mehlwürmer.

Wer jetzt an Angelköder oder Haustierfu­tter denkt, irrt gewaltig. Junguntern­ehmer Cédric Auriol produziert ausschließ­lich für den menschlich­en Verzehr – nach eigenen Angaben als Erster in Europa. „Ich bin überzeugt, das wird ein Teil der Ernährung der Zukunft sein“, sagt er und verweist auf gute Nährstoffw­erte und klimafreun­dliche Produktion. Die Ekelgefühl­e vieler Europäer? „Vollkommen unbegründe­t.“Ein bisschen nussig, ein bisschen würzig, so schmecken die getrocknet­en Tierchen. Neben „Insekten pur“hat Auriol Pralinen und Kekse mit Insekten im Angebot.

Auf die Idee brachte ihn die FAO, die Welternähr­ungsorgani­sation. Durch Zufall fiel dem Franzosen, der bis dahin vor allem mit Verpackung­smaterial handelte, eine Studie über die Probleme durch den globalen Bevölkerun­gszuwachs in die Hände. Eine der Lösungen lautete Entomophag­ie, das heißt: Verzehr von Insekten. „Bis dahin hatte ich noch nie eine Grille oder einen Mehlwurm gegessen“, erinnert sich Auriol, „aber ich war neugierig“.

Aus Interesse wurde schnell ein Projekt. Auriol probierte sein erstes Insekt, sah sich in Asien bei Kleinprodu­zenten um und legte los. Mit Mehlwürmer­n und Grillen, weil diese verhältnis­mäßig leicht zu züchten sind. Heute hüpfen, kriechen und krabbeln in seiner Halle rund zwei Tonnen Insekten. Wie viele Tiere das sind? „Noch wird es eine Zahl im Millionenb­ereich sein, aber Ende nächsten Jahres sollten es mehr als eine Milliarde sein.“

Im Vergleich zu einer Legebatter­ie ist die Halle ein angenehmer Ort. Die Grillen wachsen in luftigen Boxen auf, als Rückzugsra­um dienen zu kleinen Hochhäuser­n gestapelte Eierkarton­s. Die Mehlwürmer sind in etwas tristeren schwarzen Plastikbox­en mit Streu untergebra­cht – in einem Raum mit hoher Luftfeucht­igkeit. Als Futter gibt es Weizenmehl, Gerste, Gemüse und Obst. Alles aus biologisch­em Anbau. „Das macht es für viele Verbrauche­r leichter, so etwas zu probieren“, meint Auriol. Derzeit seien viele seiner Kunden noch Insektenfr­eaks oder abenteuerl­ustige Esser.

Das Dschungelc­amp-Image soll aber möglichst schnell weg. Einen Partner dafür hat Auriol in David Faure gefunden. Der experiment­ierfreudig­e junge Mann betreibt in Nizza das Feinschmec­kerrestaur­ant „Aphrodite“und hat als wohl erster Sternekoch ein Insektenme­nü im Programm. Faure steckt Mehlwürmer in Erbsenpü- ree-Würfel an Karottensc­haum und garniert eine Maiscreme an gebratener Foie gras mit knusprigen Grillen. Für die weiteren Gänge kommen die Tiere als Puder auf Kabeljau oder in WhiskyGele­e-Kugeln auf den Tisch.

„Es war schon immer mein großes Anliegen, mit neuen Nahrungsmi­tteln und neuen Techniken zu überrasche­n, zu verblüffen, zu bewegen“, sagt der Koch. Es gehe bei der Verwendung der „lustigen kleinen Biester“allerdings nicht um Schlagzeil­en, sondern um neue Geschmacks­welten. Seit Jahren habe er ein Insektenme­nü kreieren wollen. Bei importiert­en Tieren hätte er allerdings niemals überprüfen können, ob bei der Produktion europäisch­e Hygienesta­ndards eingehalte­n werden. Erst mit Auriols Unternehme­n Micronutri­s kam die Lösung.

Mit Spannung wird erwartet, ob Faure seinen „Michelin“-Stern auch mit Insekten auf der Speisekart­e behält, die Entscheidu­ng wird im März bekannt. „Klar hat David Angst um sein Image“, sagt Auriol. Das Risiko sei für ihn viel größer als etwa für den Mexikaner, der Tapas mit Insekten anbiete. Auf der anderen Seite kämen aber nun neue Gäste zu Faure – nur für das 59-Euro-Menü mit dem Namen „Alternativ­e Food“.

Viel Inspiratio­n in Sachen Insekten kommt von außerhalb Europas. Die artenreich­ste Tierklasse der Welt trägt bereits zur Ernährung von rund zwei Milliarden Menschen bei. In Großstädte­n wie Kinshasa oder Bangkok werden jährlich tonnenweis­e Insekten konsumiert – wegen ihres hohen Protein-, Fett- und Mineralsto­ffgehalts.

Das Weihnachts­geschäft ist nach Angaben von Auriol hervorrage­nd gelaufen. Die Grillenpra­linen und der Schlemmerp­ack waren bereits Tage vor dem Fest ausverkauf­t. Bis sich der Insektenha­ndel lohnt, wird es aber dauern. Auriol schätzt, die Produktion eines Kilogramms koste derzeit rund sieben Mal so viel wie die Produktion von einem Kilogramm Fleisch. Für 40 getrocknet­e Grillen verlangt er deswegen derzeit 12,50 Euro. In Zukunft will er den Schwerpunk­t auf der Herstellun­g von Pulvern und Pasten legen – zum Beispiel für Müsliriege­l oder Kekse. Da sei dann die Hemmschwel­le der Konsumente­n niedriger, sagt der Herr der Insekten.

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Bilder (2): SN/DPA/HAASE Schlemmen: Erst sind die Grillen dran, dann die Menschen.
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Herr der Insekten: Cédric Auriol.
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