Stück für Stück entsteht Bild der Nazi-Terrorzelle
NSU-Prozess. Mitte Jänner schlägt das Münchener Gericht das rätselhafteste Kapitel auf: die Kopfschüsse auf zwei Polizisten.
MÜNCHEN (SN, dpa). Der Prozess, der nun schon seit 71 Tagen vor dem Oberlandesgericht München abläuft, gilt in Deutschland als Jahrhundertprozess. Stück für Stück, wie aus vielen kleinen Puzzleteilchen, entsteht ein Bild des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU): ein Bild der Terrorgruppe, der Taten, des Umfelds. Und der Prozess rekonstruiert auch das Bild der Opfer, auf die es die Rechtsterroristen abgesehen hatten: neun Geschäftsleute ausländischer Herkunft, Männer, die aus der Türkei oder aus Griechenland kamen und mit großem Fleiß versuchten, sich in Deutschland ein Leben aufzubauen. Neun Mal zerschossene Leben, neun Mal ratlose und traumatisierte Angehörige, die selbst ins Visier der Ermittlungen gerieten. Und immer wieder Ermittler, die im Nachhinein keine Fehler eingestehen wollen – das ginge ihnen gegen die Berufsehre.
Die Morde, die laut Anklage Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zwischen 2000 und 2007 kreuz und quer durch Deutschland an den kleinen Geschäftstreibenden mit Migrationshintergrund verübt haben, hat das Gericht bereits weitgehend behandelt: Die Bluttaten wurden jeweils mit einer Ceska, einer Pistole tschechischer Herkunft, auf ähnliche Weise durchgeführt. Mit dem wohl rätselhaftesten Anschlag will sich das Gericht ab 16. Jänner befassen:
Am 25. April 2007 machten zwei Bereitschaftspolizisten, ein 24-jähriger Inspektor und seine 22-jährige Kollegin, in Heilbronn in ihrem Dienstfahrzeug auf der Theresienwiese gerade Pause. Laut Anklage näherten sich unbemerkt von hinten die beiden Terroristen Böhnhardt und Mundlos und schossen den beiden Polizisten in den Kopf. Die Beamtin starb, ihr Kollege überlebte mit schweren Verletzungen. Er soll am 16. Jänner als Zeuge aussagen.
Unter den fünf Angeklagten, die in München vor Gericht stehen, findet die als Mittäterin bei allen Anschlägen angeklagte Beate Zschäpe die meiste Aufmerksamkeit. Doch sie schweigt, wie auch einige der als Beihelfer angeklagten rechtsextremen Männer. Die als unmittelbare Mörder geltenden Mundlos und Böhnhardt hatten sich erschossen, um der Festnahme zu entgehen.
Noch ist das Bild der „Zwickauer Zelle“bruchstückhaft, einige Tatkomplexe sind überhaupt noch nicht zur Sprache gekommen: etwa die beiden Bombenanschläge in Köln oder die Banküberfälle, mit denen das Trio sein Leben im Untergrund finanzierte. Erstaunt hat, wie es die drei geschafft hatten, sich unterschiedlichen Milieus – etwa von Nachbarn oder Urlaubsfreunden – anzupassen und ihre Tarnung zu wahren.