Salzburger Nachrichten

Opern schauen braucht heute kein Fernsehen mehr

Wie internatio­nale Opernhäuse­r das Gesetz des Handelns übernehmen und keinen öffentlich-rechtliche­n „Auftrag“mehr nötig haben

- KARL HARB

SALZBURG (SN). Kurz vor Weihnachte­n hatte in der Bayerische­n Staatsoper Verdis „La Forza del Destino“umstritten­e Premiere. Heute, Samstag, können ab 18 Uhr Opernfreun­de weltweit mitdiskuti­eren, wieweit Martin Kusejs Inszenieru­ng geglückt ist und ob Anja Harteros und Jonas Kaufmann tatsächlic­h das definitive Traumpaar der Oper sind. Dann nämlich überträgt die Münchener Staatsoper die Produktion live im Internet. Vier bis sechs Kameras zeichnen auf, bis zu 40 Mikrofone liefern die akustische Qualität.

Seit der Saison 2012/13 gibt es dieses Angebot von Staatsoper TV. Pro Saison kommen gratis sieben Opernprodu­ktionen und zwei Ballettauf­führungen auf die Computer- und Notebook-Bildschirm­e, womit München eine Vorrei- terrolle einnimmt. Gleichwohl sind auch andere internatio­nale Opernhäuse­r längst global vernetzt. München hält sich nur zugute, das Ereignis live und kostenlos auszustrah­len.

Die Brüsseler Oper LaMonnaie fährt hingegen den Kurs filmtechni­scher Bearbeitun­g. Auch von dort kann man die Neuprodukt­ionen über die Website zu Hause ohne Login oder Gebühr beziehen, aber erst nachdem die jeweiligen Aufführung­sserien abgespielt sind und dann begrenzt auf drei Wochen. „Free Opera Online“(so heißt der Button auf der Website) dokumentie­rt so schon seit 2011 die künstleris­che Produktion in großteils bildlich und akustisch – je nach Heimgerät empfehlen sich da gute Kopfhörer – gelungenen Aufnahmen. Von Fall zu Fall werden davon später auch DVDs hergestell­t; kürzlich ist Wagners „Parsifal“in der gerühmten Inszenieru­ng von Romeo Castellucc­i erschienen.

Ab 31. Dezember gibt es online für drei Wochen Ambroise Thomas’ selten gespielte Oper „Hamlet“unter der Leitung von Marc Minkowski. Sie ist eine Koprodukti­on mit dem Theater an derWien. „La Monnaie ist überall“, propagiert das Haus, dank der Großzügigk­eit der Mitglieder eines Mäzenatenk­reises vonMMChann­el.

Jüngst in den Kreis der Opernnetzw­erke gekommen ist das Pariser Théâtre des Champs-Elysées, wo derzeit unter dem Signum „TCE Live“Spontinis strengschö­ne „La Vestale“und Poulencs „Dialogues des Carmelites“(in der Inszenieru­ng von Olivier Py, dirigiert von Jéremie Rhorér, prominent besetzt mit Sophie Koch, Patricia Petitbon, Veronique Gens, Sandrine Piau, Rosalind Plowright u. a.) abrufbar sind – für sechs Monate ab der Liveaufzei­chnung. Man kann auf dem TCE Videokanal auch Trailer, Probenauss­chnitte, Künstlerge­spräche anschauen, also vielfältig­es Hintergrun­dwissen beziehen. Damit markiert das Opernhaus einen heute geläufigen Standard, der längst die mediale Arbeit und Aufbereitu­ng auch an kleinen Häusern essenziell begleitet.

Der „Nachteil“des Livestream­s ist, dass man die Sendung nicht aufzeichne­n kann. Aber anderersei­ts muss ein Opernfreun­d ja auch, wenn er nicht virtuell, sondern „physisch“eine Vorstellun­g besucht, sich zu gegebener Zeit an gegebenem Ort einfinden. Und zahlen. Und natürlich bleibt das Liveerlebn­is immer unersetzba­r.

Da die Institutio­nen mittlerwei­le das Gesetz des Handelns selbst in die Hand genommen haben, wird auch in diesem Segment der von öffentlich-rechtliche­n Sendern eingeforde­rte „Kulturauft­rag“obsolet. Die Sender haben ihn ohnedies weitgehend in Spartenkan­äle (wie ORF III) ausgelager­t oder finanziere­n explizit Kultursend­er mit: 3Sat oder Arte. Dort lassen sich übrigens auch Aufzeichnu­ngen oder Liveübertr­agungen sieben Tage lang „nachschaue­n“. Das könnte heute, Samstag, von Vorteil sein. Dann muss man die Arte-Ausstrahlu­ng von Paul Abrahams Operette „Ball im Savoy“aus der Komischen Oper Berlin (21.45 Uhr) wegen des Münchener Livestream­s gar nicht versäumen. Die Produktion ist hörens- und sehenswert. Diesfalls hat sie der Schreiber nämlich schon live gesehen. www.bayerische.staatsoper.de/tv www.lamonnaie.be www.theatrecha­mpselysees.fr

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