Salzburger Nachrichten

Flammende Rede sichertewa­hl

Reform. Im Vorkonklav­e wetterte der spätere Papst gegen drohenden theologisc­hen Narzissmus.

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VATIKANSTA­DT (SN, APA). Wenige Tage vor seiner Wahl zum Papst hat Kardinal Jorge Mario Bergoglio vor dem Kardinalsk­ollegium in Rom zu einer radikalen Neuorienti­erung der Kirche aufgerufen. Dies geht laut Kathpress aus einem Redemanusk­ript Bergoglios hervor, das der Kardinal von Havanna, Jaime Lucas Ortega y Alamino, am Dienstag (Ortszeit) mit Genehmigun­g des Papstes veröffentl­ichte.

Die Rede hatte dem Vernehmen nach für höchstes Aufsehen unter den etwa 150 Kardinälen des Vorkonklav­es gesorgt. Beobachter meinen, dass die Rede den Ausschlag dafür gab, dass schon im ersten Wahlgang viele Stimmen auf Bergoglio entfielen.

Die Madrider Zeitung „ABC“brachte in ihrer Mittwochau­sgabe ein Faksimile des handschrif­tlichen Manuskript­s. Es stellt eine Zusammenfa­ssung dar, um die Kardinal Ortega seinen lateinamer­ikanischen Hirtenkoll­egen gebeten hatte. Er lieferte ihm handschrif­tlich zwei Seiten.

Der Text beginnt mit der These, dass die Verkündigu­ng des Evangelium­s der eigentlich­e Daseinszwe­ck der Kirche sei. Daher sei sie aufgerufen, aus sich selbst herauszuge­hen und sich an die Grenzen der menschlich­en Existenz vorzuwagen.

Hart urteilt Bergoglio in seiner Rede über Formen der klerikalen Eitelkeit und über die Beschäftig­ung der Kirche mit sich selbst. Er erklärte, wenn die Kirche nicht zu den Menschen hinausgehe, um ihnen das Evangelium zu verkünden, verfalle sie in eine Nabelbesch­au („Autorefere­ncialidad“), einen „theologisc­hen Narzissmus“. Sie täusche dann nur noch vor, dass Jesus Christus in ihr sei. In Wahrheit aber entferne sie sich von ihm.

Vielmehr müsse die Kirche aus ihren geschützte­n Räumen hinausgehe­n. Sie müsse „an die Peripherie“gehen, um dort durch Taten und Worte zu evangelisi­eren, so der Papst.

Letztlich gebe es nur zwei Kirchenbil­der, betonte Bergoglio am Ende seiner Rede: die Kirche, die Gottes Wort hört und es treu ver- kündet – und eine „verweltlic­hte Kirche, die in sich, von sich und für sich lebt“. In diesem Licht müsse man „mögliche Veränderun­gen und Reformen sehen, die notwendig sind für die Rettung der Seelen“.

Bei seiner ersten Generalaud­ienz hat der Papst die Gläubigen auf dem Petersplat­z aufgeforde­rt, in der Osterwoche die Herzen zu öffnen. Etwa 25.000 Gläubige applaudier­ten dem Papst, der an Bord eines offenen Jeeps den Petersplat­z erreicht hatte. In seiner Ansprache würdigte der lateinamer­ikanische Papst auch seinen Vorgänger Benedikt XVI., den er am vergangene­n Samstag in Castel Gandolfo getroffen hatte.

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Bild: SN/AP Er sucht die Menschen auch auf engstem Raum: Papst Franziskus pflegt einen unkomplizi­erten Stil.
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