Der Diebstahl von Zeit muss ein Ende haben
Es wird wieder an der Uhr gedreht. Eine Stunde geht an den Sommer verloren. Dabei ist die Zeit der letzte Schatz, den wir haben.
Schuld ist Benjamin Franklin. Diesem Genialen verdanken wir viel Nützliches, etwa die Idee der freiwilligen Feuerwehr und den Blitzableiter. Und auch die ersten Gedanken einer Zeitumstellung zugunsten geringeren Kerzenverbrauchs regte er an. Weil: Wenn’s abends später dunkelt, bleibt das Licht länger aus. So wurde die Zeitumstellung in den 1970er-Jahren – im Schatten der Ölkrise – auch durchgesetzt: Eine bessere Nutzung des Tageslichtes sollte Energie sparen. Das ist ein schöner, freilich ewig gültiger Ansatz. Allerdings klingt er bei der zigmillionsten Wiederholung auch ein bisserl rührig in seiner Hilflosigkeit.
Denn das mit dem Lichtsparen gilt halt eher nur dann, wenn jemand um sieben aufsteht und bis fünf Uhr abends arbeitet, wenn jemand mit dem Hahn aufsteht und mit dem Fuchs schlafen geht. DieWelt der Zweitjobs und des Überlebenskampfs durch Überstunden und Teilzeit, neue Öffnungszeiten von Geschäften haben diese Struktur längst aufgelöst. Die Tageszeit wird nicht mehr nach dem Tageslicht bemessen, sondern in Dienststunden eingeteilt und berechnet nach dem Handelsbeginn der wichtigsten Börsen.
In der Nacht auf Sonntag wird die Uhr wieder eine Stunde vorgestellt. Die Umstellerei stört den Lebensrhythmus. Das Ostereiersuchen oder den ersten „Urbi et orbi“des neuen Papstes könnte man verpassen. Und das mit der Energie muss sich wohl bitte anders und effizienter lösen lassen als mit einer Sommerzeit. Vorschlag: ein Verbot beheizter Gastgärten in derWinterzeit, die astronomisch gesehen die Normalzeit ist. Also, wozu das alles? Weil wir uns daran gewöhnt haben? Weil es dann zwei Mal im Jahr etwas zu reden gibt, was kein Wort wert sein sollte? Denn klar ist doch: Der Abend wird von selbst länger. Sprich: Das Universumhat’s gerichtet, dass die Sonne sommers länger auf uns Nordhalbkugler scheint – wenn dasWetter passt. Naturgemäß funktioniert das. Aber um Natürlichkeit geht es nur dann, wenn sich die Menschen einbilden, zu ihren Gunsten an der Natur drehen zu können wie an einem Uhrzeiger. Das Gerede um die Zeit aus Anlass deren Diebstahls hat so auch mit dem Wetter zu tun. Wie dasWetter ist die Zeit einfach da. Auskommen tut man nicht. Es gilt für die Zeit, was einst Udo Jürgens sang: „Tausend Jahre sind ein Tag.“So betrachtet ist auf die Unendlichkeit hin gerechnet der Verlust einer Stunde kein Ärgernis. Aber wer kann sich leisten, in Unendlichkeiten zu rechnen?