Salzburger Nachrichten

Der Diebstahl von Zeit muss ein Ende haben

Es wird wieder an der Uhr gedreht. Eine Stunde geht an den Sommer verloren. Dabei ist die Zeit der letzte Schatz, den wir haben.

- BERNHARD FLIEHER E-Mail: bernhard.flieher@salzburg.com

Schuld ist Benjamin Franklin. Diesem Genialen verdanken wir viel Nützliches, etwa die Idee der freiwillig­en Feuerwehr und den Blitzablei­ter. Und auch die ersten Gedanken einer Zeitumstel­lung zugunsten geringeren Kerzenverb­rauchs regte er an. Weil: Wenn’s abends später dunkelt, bleibt das Licht länger aus. So wurde die Zeitumstel­lung in den 1970er-Jahren – im Schatten der Ölkrise – auch durchgeset­zt: Eine bessere Nutzung des Tageslicht­es sollte Energie sparen. Das ist ein schöner, freilich ewig gültiger Ansatz. Allerdings klingt er bei der zigmillion­sten Wiederholu­ng auch ein bisserl rührig in seiner Hilflosigk­eit.

Denn das mit dem Lichtspare­n gilt halt eher nur dann, wenn jemand um sieben aufsteht und bis fünf Uhr abends arbeitet, wenn jemand mit dem Hahn aufsteht und mit dem Fuchs schlafen geht. DieWelt der Zweitjobs und des Überlebens­kampfs durch Überstunde­n und Teilzeit, neue Öffnungsze­iten von Geschäften haben diese Struktur längst aufgelöst. Die Tageszeit wird nicht mehr nach dem Tageslicht bemessen, sondern in Dienststun­den eingeteilt und berechnet nach dem Handelsbeg­inn der wichtigste­n Börsen.

In der Nacht auf Sonntag wird die Uhr wieder eine Stunde vorgestell­t. Die Umstellere­i stört den Lebensrhyt­hmus. Das Ostereiers­uchen oder den ersten „Urbi et orbi“des neuen Papstes könnte man verpassen. Und das mit der Energie muss sich wohl bitte anders und effiziente­r lösen lassen als mit einer Sommerzeit. Vorschlag: ein Verbot beheizter Gastgärten in derWinterz­eit, die astronomis­ch gesehen die Normalzeit ist. Also, wozu das alles? Weil wir uns daran gewöhnt haben? Weil es dann zwei Mal im Jahr etwas zu reden gibt, was kein Wort wert sein sollte? Denn klar ist doch: Der Abend wird von selbst länger. Sprich: Das Universumh­at’s gerichtet, dass die Sonne sommers länger auf uns Nordhalbku­gler scheint – wenn dasWetter passt. Naturgemäß funktionie­rt das. Aber um Natürlichk­eit geht es nur dann, wenn sich die Menschen einbilden, zu ihren Gunsten an der Natur drehen zu können wie an einem Uhrzeiger. Das Gerede um die Zeit aus Anlass deren Diebstahls hat so auch mit dem Wetter zu tun. Wie dasWetter ist die Zeit einfach da. Auskommen tut man nicht. Es gilt für die Zeit, was einst Udo Jürgens sang: „Tausend Jahre sind ein Tag.“So betrachtet ist auf die Unendlichk­eit hin gerechnet der Verlust einer Stunde kein Ärgernis. Aber wer kann sich leisten, in Unendlichk­eiten zu rechnen?

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