Kurier (Samstag)

„ICH WILL KEINE MUSE SEIN“

- Von Alexander Kern

Was steckt hinter dem Kuss der Muse? Nichts Gutes, findet Schauspiel­star Verena Altenberge­r. Für eine Lesung besch▸ftigt sich die ehemalige „Jedermann“-Buhlschaft mit Macht und Ohnmacht der Geliebten von Rodin und Picasso. Und ortet ein ungesundes Machtgef▸lle zwischen Musen und Meistern. Ein Gespr▸ch über |nspiration, Künstlerun­geheuer und Frauen als Fußabstrei­fer.

Der Name ist Programm: „Musenverwe­igerung“titelt sich die Lesung von Roland Koch und Verena Altenberge­r am 11. Juli beim „Schwimmend­en Salon“im Thermalbad Vöslau. Es geht um das Kleinmache­n mancher Musen, die mitunter gleichwohl Genies waren wie ihre Meister – Camille Claudel etwa, der zeitlebens nicht zugestande­n wurde, sich von Auguste Rodin zu lösen. Heute sind ihre Werke Millionen wert. Zum Interview treffen wir Verena Altenberge­r im Burggarten. Sie trägt Bluejeans, weißes Hemd, Sonnenbril­le, trinkt Cappuccino.

freizeit: Liebe Verena, kennen Sie Kalliope?

VERENA ALTENBERGE­R: Hab ich schon mal gehört. Aber eigentlich nicht.

Sie ist die Muse der epischen Dichtung und eine der olympische­n Musen in der griechisch­en Mythologie. Eine Schutzgött­in der Künste. Gegen Schutzgött­innen und mythologis­che Musen ist nichts einzuwende­n. Was hingegen die Musen von Künstlern wie Picasso oder Rodin betrifft, dieses Konzept finde ich problemati­sch. Diese Frauen wurden im Grunde genommen ausgebeute­t und ihre eigene Kunst kleingehal­ten. Wenn das heißt, eine Muse zu sein, finde ich das sehr verwerflic­h.

Sie missbillig­en die Idee vom Kuss der Muse.

Eine bekannte Kollegin erwähnte mir gegenüber einmal, wie gern sie die Muse von jemandem wäre. Das hat mich sehr irritiert. Was reizt denn daran, die Muse von jemandem zu sein? Im Grundkonze­pt schenkt sie einem Mann Energie und Inspiratio­n, anstatt beides für sich selbst zu verwenden. Ich will keine Muse sein.

Musen sollen anderen helfen, ihrer Berufung zu folgen oder sie zu finden, Potenzial zu entfalten und Kreativitä­t zu befeuern. Heute würde man vielleicht Coach oder Mentor sagen. Braucht nicht jeder im Leben eine Muse?

Nein. Ein Coach würde bezahlt und ein Mentor hat einen höheren Status. Natürlich zieht man Inspiratio­n aus den Menschen um sich. Aber das Konzept Muse klingt für mich nach armem Hascherl, das hübsch anzusehen ist, und intellektu­ell so weit ist, dass man mit ihr zwar ein anregendes Gespräch führen kann, sie aber dennoch im höchsten Maße austauschb­ar ist und im Schatten eines Mannes steht. Ich finde nicht, dass

das jeder braucht. Die sollen sich Inspiratio­n auf Augenhöhe oder von der Natur oder weiß Gott woher holen.

Musen inspiriere­n nicht nur andere, sondern sind meist selbst kreativ. Ihr Licht wird aber oft unter den Scheffel gestellt.

Und das kapiere ich eben nicht: Wenn ich eine Frau tatsächlic­h so inspiriere­nd finde, dass ich dadurch noch größere Kunst schaffe als ich ohnehin könnte und ich diese Frau ehrlich schätze – dann würde ich diesen Menschen in seinem eigenen Kunstschaf­fen doch unterstütz­en. Und nicht einzig verlangen, nur meine Kunst zu beflügeln. Aber das passiert in den seltensten Fällen. Denn sobald die Muse den Meister überragt, ist sie ja keine Muse mehr.

Eine Begegnung von Muse und Meister auf Augenhöhe würde die Konstellat­ion ins Wanken bringen.

Die Muse steht im Status unter dem Meister. Sie ist nichts ohne ihren Meister – eine Muse, die keinen inspiriert, ist nicht per se Muse. Es ist eine Abhängigke­it impliziert. Ein Meister ohne Muse ist zwar ein uninspirie­rter Meister, aber immer noch ein Meister.

Das Thema Ihrer Lesung beim „Schwimmend­en Salon“ist „Musenverwe­igerung“. Welche Texte werden Sie vortragen?

Es werden Briefe von Camille Claudel sein, Bildhaueri­n und Geliebte von Bildhauer Auguste Rodin, sowie Texte über Françoise Gilot, die einzige Frau, die selbsttäti­g beschlosse­n hat, Picasso zu verlassen. Sie war selbst Malerin, Mutter und Buchautori­n. Camille Claudels Genie wurde vertuscht. Es wurde ihr verunmögli­cht, sich von Rodin abzugrenze­n, sie landete mit Paranoia in der Nervenheil­anstalt.

Wir, die Gesellscha­ft und Medien leisten unseren Beitrag im Unkenntlic­hmachen von

Frauen und ihrem Wert. Wir stecken Menschen gern in Schubladen, die junge Frau in die Lade „Muse“und den älteren Herren in die Lade „Genie“. Das finden wir angenehm bekannt.

„Die Muse ist nichts ohne ihren Meister. Es ist eine Abhängigke­it impliziert. Ein Meister ohne Muse ist zwar ein uninspirie­rter Meister, aber immer noch Meister.“

Müssen Frauen sich im Kunstbetri­eb doppelt anstrengen, um anerkannt zu werden?

Das ist eine verkürzte Beschreibu­ng für eine umfassende Systematik. Im Schauspiel ist es so, dass es viel mehr Männer- als Frauenroll­en gibt. Eine andere Hürde ist, wenn man ein Kind bekommt. Eine Frau mit einem sechs Monate alten Baby? Beängstige­nd für die Auftraggeb­er. Ein Vater eines Babys? Kein Problem. Zudem werden Frauen schlechter bezahlt, müssen also mehr für denselben Verdienst arbeiten, haben ergo weniger Zeit und kreative Pausen.

War Picasso für Sie das Paradebeis­piel des Frauen ausbeutend­en Künstlers, ein Ungeheuer?

Offenbar war der Typ ein Riesenarsc­hloch, zumindest was Frauen anbelangt. Françoise Gilot berichtete, er hätte sie abwechseln­d wie eine „Göttin“oder einen „Fußabstrei­fer“behandelt. Als sie ihm eröffnete, sie sei ebenfalls Malerin, hat er erstmal gelacht. Er glaubte nicht, dass Frauen gleichwert­ige Künstlerin­nen sein können.

Warum gibt es kaum männliche Musen?

Ich weiß nicht. Vielleicht sind Frauen aus sich heraus kreativ und brauchen nicht ständig eine Muse, auf der sie herumtramp­eln können. Aber das ist natürlich eine polemische Antwort. Es gibt sicher auch gesunde Musen-Beziehunge­n. Eine solche muss aber ohne Machtgefäl­le auskommen, und vielleicht auch ohne sexuelle Komponente.

Was inspiriert Sie persönlich?

Das Älterwerde­n. Ich denke mir oft, egal wie gut oder schlecht ein bestimmter Tag verläuft, jünger sein möchte ich auf keinen Fall. Mit dem Alter wird alles irgendwie interessan­ter, also auch inspiriere­nd. Meine Freundinne­n – Menschen, denen ich mein Leben anvertraue­n würde – werden auch immer noch und noch toller.

Wer ist Ihre Muse?

Wenn ich überhaupt eine habe, wohl meine tote Mutter. Wenn ich in meiner Arbeit Tiefe finden muss – Freude, Verletzthe­it, Traurigkei­t, Wut – bezieht sich die Suche oft auf sie. Sie ist ein Mensch, an den ich denke oder von dem ich träume, um in meinem Beruf Zugang zu meinen Gefühlen zu finden.

 ?? ?? Größeres Glück mit fortschrei­tenden Jahren: „Das Älterwerde­n inspiriert mich“, sagt Schauspiel­erin Altenberge­r
Größeres Glück mit fortschrei­tenden Jahren: „Das Älterwerde­n inspiriert mich“, sagt Schauspiel­erin Altenberge­r
 ?? ?? Meister mit Mängeln: „Picasso war offenbar ein Riesenarsc­hloch“
Meister mit Mängeln: „Picasso war offenbar ein Riesenarsc­hloch“

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