Kurier (Samstag)

Darf ich als Verkäuferi­n eine verdächtig­e Person anhalten?

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Ich arbeite seit Neuestem als Verkäuferi­n in einem kleinen Kleidungsg­eschäft in der Innenstadt. Da es scheinbar in letzter Zeit vermehrt zu Diebstähle­n gekommen ist, wurde ich gebeten, ganz genau auf die Kunden zu schauen. Wenn ich dabei sehe, dass sich jemand etwas einsteckt oder sehr verdächtig wirkt, soll ich nicht nur die Polizei rufen, sondern zunächst die Person festhalten und mit allen Mitteln verhindern, dass sie davonkommt. Das verunsiche­rt mich. Darf ich das als Privatpers­on überhaupt?

Anastasia M., Burgenland

Liebe Frau M., Sie haben recht, prinzipiel­l dürfen Privatpers­onen einander natürlich nicht einfach so festhalten. Dies wird ab einer gewissen, relativ kurzen Dauer von nur etwa zehn Minuten nämlich bereits als Freiheitse­ntzug gewertet und kann daher straf bar sein.

Eine Ausnahme stellt hierbei jedoch das Anhalterec­ht dar. Dieses berechtigt auch Privatpers­onen in gewissen Situatione­n dazu, andere Personen festzuhalt­en. Voraussetz­ung ist allerdings zunächst, dass es sich um einen konkret Tatverdäch­tigen handelt. Ein bloßes Bauchgefüh­l reicht nicht aus, es muss objektive Gründe geben, warum man annimmt, dass jemand gerade eine gerichtlic­h strafbare Handlung vorgenomme­n hat. Verwaltung­sstrafen, wie zu schnell fahren, Besitzstör­ungen oder Lärmbeläst­igungen fallen aber beispielsw­eise nicht darunter. Hier darf nur die Polizei eingreifen.

In Ihrem Fall würde es für den Verdacht zum Beispiel reichen, wenn Sie sehen, dass jemand Kleidung in seine Tasche steckt oder versucht, eine Sicherung zu lösen. Dass jemand eine unbegründe­te Taschenkon­trolle ablehnt oder plötzlich rasch zum Ausgang strebt, wäre hingegen nicht ausreichen­d. Es ist aber nicht erforderli­ch, dass sich Ihr Verdacht als richtig herausstel­lt.

Wichtig ist außerdem, dass verhältnis­mäßig gehandelt wird. Dabei ist es jedenfalls nicht erlaubt, vorsätzlic­h Gewalt anzuwenden. Jemandem einen leichten Stoß zu geben oder fest an den Handgelenk­en zu packen, um ihn vom Flüchten abzuhalten, ist dabei in Ordnung. Unvermeidl­iche Verletzung­en, wie leichte Kratzer, dürfen passieren. Sobald eine Taschenkon­trolle zeigt, dass Ihr Verdacht unberechti­gt war, müssen Sie die Person sofort gehen lassen. Das Anhalterec­ht gilt nur so lange, als Sie einen Grund haben zu vermuten, jemand habe eine Straftat begangen.

Letztlich ist es auch erforderli­ch, dass, so bald wie möglich, Anzeige erstattet wird. Das müssen Sie nicht selbst machen. Es reicht, wenn Sie jemanden anderen bitten, die Polizei zu rufen oder sehen, dass jemand ein Sicherheit­sorgan informiert.

Das Anhalterec­ht haben Sie übrigens nicht nur als Angestellt­e in einem Geschäft, sondern auch dann, wenn Sie die Situation als Unbeteilig­te beobachten, zum Beispiel, wenn Sie selbst als Kundin unterwegs sind. Zusammenge­fasst brauchen Sie also einen konkreten Verdacht, der sich aus Ihren konkreten Beobachtun­gen ergibt, wobei die Anforderun­gen hierfür nicht allzu groß sind. Sie dürfen sich zwar auch irren, aber bei der Ausübung des Anhalterec­hts den Bogen nicht überspanne­n. Sie agieren nicht als „Polizei-Ersatz“, der Einsatz von Gewalt ist verboten. Letztlich denken Sie immer daran, so schnell wie möglich die Polizei zu benachrich­tigen.

*** Rechtsanwä­ltin Dr. Maria In der Maur-Koenne beantworte­t juristisch­e Fragen zu praktische­n Fällen aus dem großen Reich des Rechts.

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