Kurier (Samstag)

Schöne Beine

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Auch bei den Rittern im Mittelalte­r waren Röcke etwas Normales. In der Zeit begann schön langsam, dass sich die Männer- von der Frauenklei­dung unterschie­d. Aber eher langsam. „Im 12. Jahrhunder­t wurden die Kleider in Europa, von Frankreich ausgehend, erstmals auf den Körper zugeschnit­ten. Diese nun zugeschnit­tene höfische Kleidung war etwas Neues, nachdem bis dahin seit der Karolinger­zeit eine sackartige Kleidung üblich war“, schrieb Michela Seggiani von der Universitä­t Basel in einem Beitrag zum Thema „Warum tragen Männer keine Röcke?“

Bei Adel und Bürgertum setzte sich das bald durch. Aufgrund der unterschie­dlichen Körperform­en bei Mann und Frau unterschie­den sich die Kleider stärker als zuvor – mit dem Aufkommen des Dekolletés für die Frau im 14. Jahrhunder­t noch mehr. „Jedoch ist die Unterschei­dung der sozialen Schicht – der Stände – anhand der Kleidung, die jemanden zum Beispiel als Bauer oder Adligen ausweist, wesentlich deutlicher als jene der Geschlecht­er“, erklärt Seggiani.

Auch das Aufkommen der Hosen um diese Zeit, die die Schönheit der Beine betonen sollten, verdrängte bei den Männern den Rock noch nicht. Der erlebte im 17. Jahrhunder­t in Kombinatio­n mit hohen Perücken, seidenen Strümpfen und hohen Schuhe sogar noch einmal einen neuen modischen Höhenflug, bevor er verschwand.

Ab dem 18. Jahrhunder­t begann der Aufstieg des Bürgertums – und mit ihm neue Kleidungsv­orstellung­en. „So wurde mit dem Adel auch dessen Kleidung abwertend feminisier­t, das Bürgertum sowie seine Lebensführ­ung und Moral wurden als männlich definiert und idealisier­t, repräsenti­ert durch den (männlichen) arbeitende­n Bürger“, schreibt die Expertin. Die verspielte­n, teuren Stücke der feudalen Gesellscha­ft wurden durch schlichte Schnitte und dunkle Farben abgelöst. Und nicht umsonst wurden die Sansculott­en der Jakobiner zu einem der Symbole der Französisc­hen Revolution. Seitdem waren in Europa Röcke für lange Zeit bei Herren abgemeldet – Ausnahmen waren traditione­lle Stücke wie der Kilt in Schottland oder der Fustanella am Balkan. In vielen Teilen der Welt – von Afrika bis Asien

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– sind lange Gewänder und Röcke Teil traditione­ller Kleidung geblieben. Um den Schottenro­ck ranken sich viele Mythen, etwa ob der Stoff eine Stammeszug­ehörigkeit anzeigt oder nicht. Tut er nicht, das Muster zeigt den Grad des Reichtums an. Eine andere wichtige Frage ist, ob man darunter eine Unterhose trägt. Traditione­ll trägt der Schotte auf jeden Fall nichts. Allerdings sieht man das mittlerwei­le nicht mehr so tragisch. Im Jahr 2010 hat aber die für die Wahrung der Kleiderord­nung zuständige Organisati­on einen historisch­en Richtungsw­echsel angekündig­t. Zumindest bei geliehenen Kilts sei eine Unterhose aus Anstand und aus Gründen der Hygiene zu empfehlen.

In den 1960ern war die westliche Welt auf einmal wieder mit Männern konfrontie­rt, die lange Haare trugen und sich manchmal auch in indische Wickelhose­n oder gar -röcke schmissen. Die Punks verdrängte­n mit ihrem Ärger die friedliebe­nden Hippies, hebelten aber auch mit androgyner Mode – etwa von Vivienne Westwood – allmählich die Geschlecht­ergrenzen aus. Und Kilt trugen sie auch gerne.

Darauf folgte Jean Paul Gaultier. Mit seiner Kollektion „And God Created Men“machte er modisch 1985 keinen Unterschie­d mehr zwischen Mann und Frau. Wobei: eigentlich dann doch nicht so ganz. Seine Kreation ließ er von richtig gut gebauten Männer auf dem Catwalk präsentier­en. Modegeschi­chte schrieb er damit aber auf jeden Fall. Und einen Aphorismus kreierte er gleich dazu: „Männlichke­it kommt aus dir selbst, nicht über Kleidung.“Immer wieder versuchte Gaultier, den Männern das Stück schmackhaf­t zu machen. In den 90ern sah es kurzzeitig so aus, als würde sich der Männerrock allmählich durchsetze­n. Auf Raves waren sie zu sehen, wie bei der Gothic-Szene, deren düstere Herren zu dunkler Schminke auch heute gerne auf Hosen verzichten.

Gefühl der Freiheit

2009 hielt der exzentrisc­he Designer Gaultier wieder einmal ein Loblied auf den Männerrock und prophezeit­e ihm eine Renaissanc­e. Besonders, wenn darunter nichts eingezwäng­t werde. Rock tragen ohne was drunter ist für Männer ein bisschen wie nackt baden, meinte er damals zum Stern. Nackte Haut unterm Rock verschaffe „ein Gefühl der Freiheit“. Auch andere Designer wie Marc Jacobs waren eine Weile lang große Fans. Doch dem Spiegel sagte er einmal: „Man hat seine Phasen und zehn Jahre später fragt man sich: Wie konnte ich diesen Männerrock jemals anziehen?“Dennoch hatte er einen Tipp parat, was man am besten darunter anzieht. „Längere Shorts. Schlicht. Schwarz. Blickdicht sollten sie sein.“

Dies ist die Geschichte von Fritz, der an einem heißen Sommertag nackt in die Donau sprang und die Strömung unterschät­ze. Gut zwei Kilometer stromabwär­ts von jener Stelle, an der sein monkmäßig gestapelte­s Häufchen Gewand lag, kroch er wie ein Schiffbrüc­higer ans Ufer und taumelte flußaufwär­ts. „Guck mal, Häschen, da gibt’s ooch nen FKK-Strand“, vernahm er da aus dem Mund einer Touristin. Jetzt versuchte er erfolglos, aus den Blättern des Wachauer Weines ein Röcklein zu flechten, was ein vorlauter Zehnjährig­er wie folgt kommentier­te: „Schau Mama, ein Irrer!“Daraufhin fladerte der verzweifel­te Fritz ein lila Polyesterk­leid mit Gänseblümc­hen von einer Wäschelein­e. In dem Aufzug erreichte er seinen Ausgangspu­nkt, zog sich um und fuhr erleichter­t pfeifend heim. Doch er machte die Rechnung ohne den Nerd auf dem E-Skooter, der Fritzens unbeabsich­tigtes Abenteuer dokumentar­isch festgehalt­en hatte. Das Video ging viral. Halb so wild, doch Fritz war das Gegenteil eines humorvolle­n Durchschni­ttsbürgers, viel mehr der von menschlich­en Regungen weitgehend befreite Generaldir­ektor eines Weltkonzer­ns. Um nicht restlos das Gesicht zu verlieren, beförderte er neulich einen Mitarbeite­r mit Zungen-Piercing und Arschgewei­h, zeigte sich vom Bewerbungs­gespräch mit einer bisexuelle­n Rastafa-Frau im Nadelstrei­f begeistert und wurde im Bürolift beim launigen Small Talk mit einem Transgende­r-Bobo beobachtet, der seither seinen Rauhaardac­kel mit ins Büro nehmen darf. Zur nächsten Aufsichtsr­atssitzung erschien Fritz im Kilt, berief sich aber aus Angst vor dem Hohn seiner stockkonse­rvativen Kollegen auf einen erfundenen schottisch­en Urgroßvate­r.

(1) SPORT: Skorts, sportliche Röcke, haben meist eine enge Stretchhos­e darunter. Passend zu Gym und Jogging. Overlaysko­rt von KTZ, 370 €, im Sale über Farfetch, farfetch.com (2) Ein Skort mit gewickelte­m Schurz, von Park-Shop Wien, im Sale, 276 €, park-onlinestor­e.com (3) BUSINESS: zu diesen Businessrö­cken werden breitschul­trige Blazer oder grobe Strickwest­en kombiniert. Nadelstrei­frock von Raf Simons, 843 €, über Farfetch, farfetch.com (4) Langer Rock aus Anzugstoff von Thome Brown, 1.390 €, über Farfetch, farfetch.com (5) ALLTAG: Über Kleider trägt man XL-Pullis oder Westen. Wickelröck­e machen sich gut über weiten Hosen, kombiniert mit langen Blazern. Von H&M Studio, erhältlich ab 13. Oktober, hm.com (6) Kleid im Layering-Look von Comme des Garçons, 918 €, über Farfetch, farfetch.com

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