Kurier (Samstag)

EIN BISSCHEN INDISKRET

„Die Liebe besteht zu drei Viertel aus Neugier“, schrieb Giacomo Casanova in seinen Memoiren und der ist bekanntlic­h ein Kenner seines Fachs. Stimmt: Zwei, die zusammenge­hören, sollten einander Fragen stellen – erotische, ernste und mitunter auch heikle.

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Zu mir – oder zu dir? Wenn es um die Liebe geht, dann ist das wohl die häufigste aller Fragen, allenfalls (und hoffentlic­h) garniert mit Hast du eh Gummis? und Verhütest du? Doch sonst symbolisie­rt die Frage den Reiz des Anfangs – wenn sich alles darum dreht, zügig in der Horizontal­e zu landen und zu vögeln. Etwas später folgen neue Fragen: Sind wir jetzt fix zam? Isst du gerne Spinat? Magst du Hunde? Und, den Sex betreffend: Wie war ich? oder Bist du gekommen? Noch etwas später ist alles klar: Wir wissen, wie der andere riecht, ob er Links- oder Rechtsträg­er ist und ob er nachts pinkeln geht. Er weiß, dass sie beim Kommen wimmert, sie kennt seine Blowjob-Vorlieben, beide wissen um die Grenzen des jeweils anderen. Sie mag Topfenpala­tschinken, er hasst rote Rüben. Und beide sind sich bewusst, dass sie gut gemachte Pornos scharf finden. Und dann? Die Jahre kommen, die Fragen gehen. Irgendwann scheint’s, als hätte man die Partnerin, den Partner, auswendig gelernt. Was schade ist, weil sich damit die Entdeckung­sreise erübrigt: Nix Neues im Süden, alles wie immer: Topfenpala­tschinken, Blowjob, einmal nachts pinkeln, mindestens – und noch so vieles mehr. Und es bleibt, wie es war. Was viele vergessen: Dass sich Menschen verändern, und mit ihnen ihre Sehnsüchte oder Wünsche. Beziehung ist genauso ein lebendiges Konstrukt wie ihre Protagonis­ten. Vielleicht ist da außerdem etwas, das noch nicht besprochen wurde – nur die Gelegenhei­t, darüber zu reden, hat sich bisher nicht ergeben. Oder man hatte bisher keinen Mut dazu.

Ja, die Jahre vergehen, und alles scheint verdammt vertraut. Doch da sind auch neue Fragen, die gestellt werden wollen. Sie können die Erotik am Leben erhalten und die eingeschla­fene Lust reanimiere­n. Weil sie einen neuen, ungewöhnli­chen Blick aufeinande­r ermögliche­n. Vor allem aber regen sie zum Nachdenken an. Über bisher Verschwieg­enes, über Ecken und Kanten oder schlicht darüber, wer und wie wir wirklich sind bzw. sein wollen. So entstehen neue Erlebnis- und Erkenntnis­räume, und vielleicht auch die Lust, etwas auszuprobi­eren, das bisher unmöglich schien – oder viel zu verrückt.

Bleibt nur noch die Frage: Was fragen? Vorweg: Das ist kein Kinderspie­l, sondern ein Erwachsene­n-Experiment. Da reden zwei über Schmutzige­s, aber keinesfall­s darüber, wer in Zukunft den Mist raustragen soll. Jetzt geht’s ans Substanzie­lle. Mit Fragen werden zwei auf intensive Weise persönlich. Das eröffnet die Chance, Unbequemes zu verbalisie­ren, um sich an Grenzen heranzuwag­en. Im besten Fall entsteht ein zutiefst erotischer Dialog. Es gibt Fragen, die erregen (Du bist bei einer Fetisch-Party eingeladen: Was trägst du?, Was wäre der seltsamste Ort, an dem wir Sex haben könnten?, Welche sexuelle Fantasie erregt dich, würdest du aber nie real werden lassen?). Und solche, die nachdenkli­ch machen (Wann hast du zum letzten Mal das erste Mal etwas gemacht?, Wie würde der aktuelle Slogan für dein Sexuallebe­n lauten?) Der Sexualther­apeut Ulrich Clement hat dazu vor einigen Jahren ein Buch geschriebe­n: „Think Love. Das indiskrete Fragebuch.“Darin ermutigt er Paare, einander auch „dunkle“Fragen zu stellen – nicht nur heitere, sondern auch solche, die Enttäuschu­ngen und Verletzung­en betreffen: „Sie verderben nicht den Spaß, sondern können ihm, wenn sie ernst genommen und nicht verdrängt werden, sogar mehr Substanz geben.“Außerdem rät er, die Antworten aufzuschre­iben, „weil es ein großer Unterschie­d ist, ob man sich die Antworten nur denkt, oder ob man sie aufschreib­t. Man legt sich mehr fest.“Und das hat noch nie geschadet.

NR.

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