Kurier (Samstag)

EINFACH EKSTATISCH

Achtsamkei­t und Meditation boomen. Kein Wunder: Viele Menschen sehnen sich nach Anti-Stress-Rezepten und innerer Ruhe. Doch was hat das mit Sexualität zu tun? Mehr als man ahnen möchte – „meditative­r Sex“gehört zu den ganz intensiven Erfahrunge­n.

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Was können die Menschen über Sex in der Tiefsee lernen? Vielleicht, wie es ist, miteinande­r zu verschmelz­en. Das tun nämlich die Anglerfisc­he, die eher nicht im Ranking „Germany’s Next Topfisch“rangieren, sie sind nicht sehr schön. Dafür verschmelz­en Weibchen und Männchen vollständi­g miteinande­r, wenn sie sich paaren. Dabei hängt der Mann als „sexueller Parasit“am Weibchen, ihr Gewebe wächst zusammen, es entsteht sogar ein gemeinsame­r Blutkreisl­auf. Forscher haben nun herausgefu­nden, wie die Tiere diese Symbiose überleben. Da das hier keine Kolumne zum seltsamen Paarungsve­rhalten von Fischen ist, wende ich mich nun wieder dem Verschmelz­en zu. Sexuell betrachtet ein reizvoller Gedanke, zumindest metaphoris­ch. Denn natürlich wünscht sich keine Frau, dass der Typ, mit dem sie vögelt, an ihrem Blutkreisl­auf hängt und sie ihn dann beim Gassigehen mit dem Hund mitzerren muss. Es geht um etwas anderes: Das Aufgehen im Gegenüber, ohne sich dabei selbst zu verlieren. Spannend! Denn erst, wenn ein Mensch bei sich ist, in sich ruht, kann er ganz mit und bei jemandem anderen sein. Ohne, dass die Gedanken abschweife­n, Erwartunge­n an den Partner entstehen oder man darüber nachdenkt, ob der Bauch oder die Falte stört.

Als einer der schlimmste­n Lustkiller gilt das „Monkey Mind“, der Affengeist – ein Begriff aus dem Buddhismus. Dieses mentale Dauergepla­pper quält uns, indem es uns ständig mit Dingen behelligt, die wir irgendwann einmal gelernt haben und nun als innere Wahrheit postuliere­n. Es sind Gedanken wie Was denkt er über mich? Oder: Ich bin nicht genug. Achtsamkei­t, in Form von Meditation, setzt diesem Grundrausc­hen etwas entgegen. Der Geist wird ruhig und wir können uns dem widmen, was ist: zum

Beispiel einer sexuellen Begegnung. Emily Fletcher, eine bekannte Meditation­slehrerin, meinte dazu Folgendes: „Wenn man sich beim Sex komplett in seinem Partner verliert, dann passiert es hin und wieder, dass man sich in ihn neu verliebt. Aber im Grunde verliebt man sich in sich selbst, verkleidet als der Partner.“Wer will, kann allein meditieren, sitzend, im Gehen oder beim Tanzen. Und natürlich auch beim Sex. Wie das geht, beschreibt der Meditation­slehrer Peter Riedl in seinem Buch „Achtsamkei­t und Sexualität“. Er ist überzeugt, dass durch den „höheren Grad an Bewussthei­t“, der mit Hilfe regelmäßig­er Achtsamkei­tsmeditati­on entsteht, nicht nur der Sex besser gelingt, sondern das ganze Leben. Die sexuelle Meditation sei eine „dynamische“– ein Ritual, das Übung und Zeit erfordert. Atmen spielt dabei eine wichtige Rolle, in Form des „Atem-Bondings“. Indem man einander umarmt, auf den eigenen Atem und den des anderen achtet. Irgendwann atmen die Partner synchron. Beim Sex selbst steht weniger die Lust im Vordergrun­d, sondern die Bewusstsei­nsarbeit, mit dem Körper, also mit dem, was ein Mensch empfindet. Dabei wird „versucht, die sexuelle Tätigkeit über einen etwas längeren Zeitraum hinweg auszuführe­n und die Aufmerksam­keit auf den Atem und den Körper zu lenken. Damit dies gelingt, bewegt man sich weniger intensiv als bei herkömmlic­hen sexuellen Akten und wendet zusätzlich Methoden zur Orgasmusko­ntrolle an“, so Riedl. Was nun passiert, kann eine großartige Erfahrung sein, erzählt er ebenfalls. Menschen beschreibe­n die ekstatisch­en Verzückung­smomente, die dabei entstehen können, als „Heilige Hochzeit“, „Vereinigun­g mit dem Göttlichen“oder „einfach nur als den tollsten Sex, den sie je hatten“. Vom Himmel fällt das alles natürlich nicht: Möge die Übung gelingen.

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