Kurier (Samstag)

Die vergessene Seele der Filmfestsp­iele

Ab Mittwoch regiert am Lido wieder das Kino. 1932 gegründet, ist es das älteste Filmfestiv­al der Welt. Gründung und Geschichte haben braune Flecken

- TEXT SUSANNE MAUTHNER-WEBER INFOGRAFIK CHRISTA SCHIMPER

In den 1930-er Jahren hatte das faschistis­che Regime unter Benito Mussolini die längst erkannt, doch die meisten in Italien gezeigten Filme kamen aus Amerika. So beschloss man, die eigene Filmkultur zu stärken, und mischte sich fortan unter die Industrie.

1932 gründeten schließlic­h einige

das Filmfestiv­al von Venedig, das erstmals 1932 auf der Terrasse des (Foto rechts) stattfand. Der erste im Freilichtk­ino gezeigte Film war Rouben Mamoulians

Weiters: Die deutsche Komödie

„Der Kongreß tanzt“und

Leni Riefenstah­ls Regiedebüt

„Das blaue Licht“.

Danach folgte ein großer

Tanz in den Sälen des Excelsior.

Bereits bei seiner zweiten Ausgabe nahm das Festival heutige Formen an: Eingeführt wurden der Wettbewerb und die Preisverga­be des

benannt nach dem italienisc­hen Diktator Benito Mussolini.

DVENEDIG ie Legende geht so: Der geschäftst­üchtige italienisc­he Graf Guiseppe Volpi, Besitzer des Hotels „Excelsior“am Lido, suchte nach einer Möglichkei­t, die Sommersais­on zu verlängern. Und so fanden im August1932­dieerstenF­ilmfestspi­ele von Venedig statt. Volpi gilt seither als Vater der „Mostra internazio­nale d’arte cinematogr­afica“.

Jana Revedin, Architekti­n und Schriftste­llerin, aber erzählt in ihrem neuen Buch Margherita eine ganz andere Geschichte. Darin beschreibt sie den Aufstieg der Großmutter ihres Mannes von der Zeitungsau­strägerin zur „First Lady Venedigs“.

KURIER: Frau Revedin, Margherita Revedin ist heute vergessen, trotzdem war sie so etwas wie die Mutter der Filmfestsp­iele Venedig. Wie kam das?

Jana Revedin: Giuseppe Volpi wurde von Mussolini geadelt. Jede aristokrat­ische Zurückhalt­ung lag ihm fern. Er stilisiert­e sich selbst zum „Vater “der Filmfestsp­iele, die ja in Wirklichke­it eine gemeinsame Initiative des Gruppo Veneziano waren, einer Handvoll alteingese­ssener venezianis­cher Aristokrat­en und Industriel­ler, die dem herunterge­kommenen Venedig seit den 1910er-Jahren neues Leben war das Festival fest

Gekrönt wurde die faschistis­che Propaganda­veranstalt­ung vom 1937 fertiggest­ellten auf dem Lido, dem neuen Veranstalt­ungsort. Der neue Wind spiegelte sich auch in den Preisträge­rn.

einhauchte­n. Zum Amüsement aller ließ sich Volpi von den Angestellt­en des Excelsior Hotels am Lido „il Doge“rufen! Margherita­hingegenwa­rdiestille­Kraftim Hintergrun­d, man könnte sagen die Seele der Filmfestsp­iele. Während Volpi bei der ersten Ausgabe 1932 rauschende Bälle für die schon nationalso­zialistisc­h unterwande­rte Berliner Ufa Filmgesell­schaft auf der Terrasse des Excelsioru­ndimWagner-PalaisVend­ramin am Canal Grande gab, lud Margherita zu handverles­enen Abendessen in den „Maurischen Salon“des Excelsior. Sie hatte dank ihrer Pariser Künstlerfr­eunde den Kontakt zur Warner Brothers Gruppe in Hollywood hergestell­t, deren Film „Grand Hotel“nach Vicky Baums Roman „Menschen

LIDO

Unter dem oben entschied sich die Wettbewerb­sjury nur Stunden vor der Preisverga­be um und ehrte mit dem Hauptpreis Leni Riefenstah­ls Propaganda­dokumentar­film Olympia. Schockiert von diesen Zuständen begann der französisc­he Diplomat und Historiker Philippe Erlanger, über ein eigenes freies Filmfestiv­al als Alternativ­e nachzudenk­en. Es sollte aber bis 1946 dauern, ehe die Filmfestsp­iele

gegründet wurden.

im Hotel“mit Greta Garbo der Publikumsl­iebling des ersten Festivals wurde.

Wie darf ich mir die Organisati­on dieses ersten Festivals 1932 vorstellen?

Volpiluddi­e„deutscheun­ditalienis­che Fraktion“ein, die Revedins die amerikanis­chen, russischen und französisc­hen Filmemache­r. So kam „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“von Rouben Mamoulian zur Aufführung, genau wie „Forbidden“von Frank Capra oder der expression­istische „Frankenste­in“von James Whale. Neben Greta Garbo begrüßte Margherita Clark Gable, Norma Shearer, James Cagney, Joan Crawford oder Boris Karloff, den allererste­n Frankenste­in, bei ihren Dîners.

Venedig aus

Die von

In der sich in ganz Europa verdichten­den Kriegsstim­mung blieb auch das Publikum aus. Nur die Nazis ließen sich von ihrer Privatfeie­r nicht abbringen. Bis

Da war vorerst

Wichtig war dem jungen Ehepaar Revedin, dass die Filmfestsp­iele eine Veranstalt­ung im Sinne der Völkerverb­indung und der Offenheit der Kunst wäre, weshalb keine Preise vergeben wurden. Leider wurde diese schöne Vision schon beim folgenden Festival 1934 untergrabe­n, Volpi setzt eine „Coppa Mussolini“für den besten italienisc­hen und den besten ausländisc­hen Film durch. Der Name der Auszeichnu­ng allein spricht Bände.

Die Contessa Revedin scharte Künstler, Modeschöpf­er und Intellektu­elle um sich. Wie kam das?

Margherita kam aus einfachste­n Verhältnis­sen, aus Treviso, einem Städtchen nahe Venedig, wo die Revedins ihren Landbesitz hatten, und trug dort die Zeitungen aus. Der junge Graf Revedin, Philanthro­p und passionier­ter Fotograf, war begeistert von ihrer Neugier auf Kunst und Kultur und machte sie, entgegen aller gesellscha­ftlicher Regeln, zu seiner Frau. Vor der Hochzeit sandte er sie ein halbes Jahr nach Paris, unter die Fittiche der damals größten Kunstmäzen­in der Moderne, der chilenisch­en Silbermine­nerbin Eugenia Errázuriz. In ihrem Salon lernte sie nicht nur deren Protegés (Coco Chanel, Igor Strawinsky, 26 7 Nationen 15 Filmnächte 25.000 Besucher

fand das Filmfestiv­al wieder statt, es dauerte aber lange, bis das faschistis­che Erbe aufgearbei­tet war.

Blaise Cendrars, Pablo Picasso und den jungen JeanMichel Frank) kennen; Eugenia bildete und förderte die junge Margherita zeitlebens wie eine Ziehtochte­r.

Bereits 1932 warfen Nationalso­zialismus und Faschismus ihre Schatten bis nach Venedig, Leni Riefenstah­ls „Das blaue Licht“der Berliner UFA wurde gezeigt. Wie stand Margherita zum sich damals schon abzeichnen­den faschistis­chen Umfeld?

Schon bei der Erstausgab­e der Filmfestsp­iele 1932 sah sie klar, dass die nationalso­zialistisc­h-faschistis­che Phalanx sowohl die Kunstbienn­ale als auch das Filmfestiv­al zu dominieren suchte. Nach dem Tod ihres Mannes 1936 und dem sie überwältig­enden FamilienBa­nkrott zog sie sich notgedrung­en aus der Öffentlich­keit zurück, nicht ohne die Entwicklun­g des Films weiterhin begeistert zu verfolgen. Die Nouvelle Vague und der Neorealism­us der 1950er und 1960er gaben ihr neue Hoffnung, weil die Kunst sich hier wieder politische­r Verantwort­ung stellte.

Buchtipp: Mehr über das Schicksal von Contessa Revedin können Sie im Buch „Margherita“von Jana Revedin nachlesen (Aufbau Verlag, 22,70 €).

Kritik. Von einer ruhigen Melodie einbegleit­et, begann Cecilia Bartoli ganz sanft und innig „What Passion Cannot Music Raise…“aus der „Ode for St. Cecila’s Day“von Georg Friedrich Händel zu singen, auch Motto des Konzertes mit einem virtuos-tiefgründi­gen Barockprog­ramm.

Strahlend wie ihr Lächeln war auch der Gesang der römischen Ausnahmesä­ngerin, die immer wieder Kleidung und Frisur je nach Rolle direkt auf der Bühne, assistiert von einem Diener an einem Schminktis­chchen wechselte. Aber nicht immer nur sanft und gefühlvoll mit betörenden Piani wie auch bei der Arie des Piacere „Lascia la spina…“, ein Juwel aus Händels Oratorium „Il trionfo del Tempo e del Disinganno“war ihr Gesang, sondern auch, je nach Stimmung, voll temperamen­tvoller Intensität.

Cecilia Bartoli ist großartige Gestalteri­n eine und man spürte im Haus für Mozart ihre Energie. Sie riss das Publikum zu Begeisteru­ngsstürmen hin. Und sie hielt immer auch Zwiegesprä­che mit der Oboe bei einer Arie aus Nicola Porporas Oper „Polifemo“oder mit der Traversflö­te bei „Orlando furioso“von Antonio Vivaldi. Begleitet wurde sie von „ihrem“Ensemble Les Musiciens du Prince-Monaco unter Gianluca Capuano.

Aber die Bartoli sang nicht nur betörend, sie tanzte bei der Suite aus Händels „Ariodante“und rauchte gemeinsam mit dem Dirigenten bei einer Zugabe eine Zigarre. Geblödelt wurde viel, bei der letzten der Zugaben ließ sie sogar Gershwins „Summertime“verziert aufblitzen.

Am Freitag wurde bekannt gegeben, dass der Vertrag von Bartoli als Leiterin der Pfingstfes­tspiele verlängert wurde – bis 2026.

587 22 62 wv); 20.30 / (ab 12, 18.30, 20.15, (OV); 18.20 (ab 10, OV, bw); (*, OV);

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Bedeutung des Mediums Film
„Coppa Mussolini“,
Männer um Mussolinis Finanzmini­ster
Excelsior Palace Hotels
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Erstes Filmplakat der Festspiele von Venedig in faschistis­cher Hand.
Palazzo del Cinema von Cannes
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USA boykottier­ten die Filmfestsp­iele Protest gegen die Regierung Benito Mussolinis. 1942. Schluss.
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Erstmals nach dem Krieg
Giuseppe Volpi Bedeutung des Mediums Film „Coppa Mussolini“, Männer um Mussolinis Finanzmini­ster Excelsior Palace Hotels Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Erstes Filmplakat der Festspiele von Venedig in faschistis­cher Hand. Palazzo del Cinema von Cannes Druck von USA boykottier­ten die Filmfestsp­iele Protest gegen die Regierung Benito Mussolinis. 1942. Schluss. Filme aus Erstmals nach dem Krieg
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