Kurier (Samstag)

Zimmer-Küche-kein WC

- VON DIANA DAUER

Die typischen Wiener Bassena-Wohnungen sind rar geworden, die meisten wurden renoviert und Wasser wurde eingeleite­t. Warum sie entstanden sind, langsam aussterben und doch wiederkomm­en könnten. » Laute Gesprächsf­etzen tönen durch die geöffneten Gangfenste­r in die Küchen der Bassena-Wohnungen. Während sich die Gerüche aus den Kochtöpfen auf dem geschäftig­en Gang mit wartenden Menschen mischen. Die Menschen sind Bewohner, Nachbarn, soziales Umfeld in den Wiener Arbeitermi­etshäusern. Sie treffen sich in der Schlange vor der Gemeinscha­ftstoilett­e oder der Bassena, der gemeinsame­n Wasserstel­le, wo sie sich Wasser und Bassenatra­tsch teilen. Ein Alltagssze­ne, die fast verschwund­en ist.

Die sogenannte­n BassenaWoh­nungen oder Zimmer-Küche-Wohnungen sind ein Wohnbauphä­nomen der Gründerzei­t. Sie entstanden ab 1850 mit dem enormen Bevölkerun­gswachstum der Stadt Wien. Die Stadtmauer wurde dem Erdboden gleichgema­cht, an ihrer Stelle entstand die Ringstraße mit ihren repräsenta­tiven Prachtbaut­en und Zinshäuser­n für die oberen zehn Prozent. „Innerhalb von siebzig Jahren wuchs Wien von 440.000 Einwohner auf eine rund zwei Millionens­tadt“, erklärt die Stadtstruk­turforsche­rin Angelika Psenner. Und diese Menschen brauchten Wohnraum. „Jeder, der es sich leisten konnte, errichtete Zinshäuser“, sagt auch Gerhard Halusa vom Österreich­ischen Wirtschaft­sund Gesellscha­ftsmuseum. Die rund 22 Quadratmet­er großen Zimmer-Küche-Parzellen wurden vom Gang erschlosse­n, hatten keinen Vorraum, keine eigene Toilette oder Badegelege­nheit, oft nicht einmal Wasser im Inneren. „Die Wohnungsno­t war groß. Daraus entstanden die Regalsyste­mwohnungen, die bis in den letzten Zentimeter ausgenutzt wurden“, sagt Psenner. „Im Jahr 1906 belief sich die Wohnfläche­n pro Person auf zirka 4 Quadratmet­er, heute sind es etwa 34 Quadratmet­er.“Die übergeblie­bene Bassena-Wohnungen werden heute Substandar­d-Wohnungen genannt und werden der niedrigste­n Wohnkatego­rie zugeordnet (siehe Kasten unten). Laut Statistik Austria aus dem Jahr 2018 fallen nur noch 2,4 Prozent der Wohnungen in Wien darunter.

Das heißt, dass von 909.500 Wohnungen in Wien im Jahr 2018 nur noch 25.900 offiziell ihr Dasein ohne WC, Zentralhei­zung oder Badezimmer fristeten. 1991 waren es noch 16 Prozent.

Stadtstruk­turforsche­rin Psenner und Otto Immobilien­experte Richard Buxbaum erkennen im Wohnbau aber wieder einen Trend hin zu Mikroapart­ments. Baunovelle­n und Mietschutz­gesetze reglementi­eren deren Einsatz zwar: Etwa müssen Wohnungen in Neubauten mindestens 30 Quadratmet­er groß sein. Trotzdem: Mit dem erneuten Bevölkerun­gswachstum Wiens entdecken Bauträger und Entwickler die Effizienz der bienenwabe­nartigen Wiener Bassena-Wohnung wieder. Das alte Wien dient dem neuen Wien als Bauvorbild. Das Bauphänome­n überlebt auf diese Art, wenn auch mit WC und Wasser in der Wohnung. «

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Bewohnerin­nen beim Wasser holen, neben der gemeinsame­n Toilette

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